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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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näher gekommen waren, und wandte sich um, damit er sehen konnte, was geschah. Die Hirten trieben die Schafe über den Kamm, der von Felsen und kahlem Boden gesäumt zu sein schien. Der Führungsschlitten glitt hinter den Schafen her und auch die übrigen Schlitten begannen zu drehen. Vater trieb die Pferde an und zog sie mit den Zügeln zur Seite. Der Schlitten drehte und folgte bald darauf wiederum an letzter Stelle dem Gefolge.
    »Wir müssen durch die Bärenkluft«, sagte Vater. »Das ist nur gut einen Bogenschuss von hier entfernt. Es sieht so aus, als wäre der Schnee auf dem Kamm schon zu sehr abgeschmolzen.«
    Gwen legte den Kopf an Dielans Schulter. Sie schwitzte im Gesicht. Bran drehte ihnen wieder den Rücken zu. Die Riesen waren stehen geblieben. Sie stampften im Schnee und schnupperten in der Luft. Bran gefiel das gar nicht. Wenn die Schlitten noch langsamer wurden, würden die Vokker sie einholen.
    Bald darauf war das Geschrei der Hirten zu hören. Sie hatten die Kluft gefunden und trieben die Schafe zwischen den senkrechten Abstürzen hindurch. Die Schlitten folgten ihnen. In der Kluft lag der Schnee tief, doch der Wind hatte ihn derart zusammengepresst, dass weder die Hufe der Pferde noch die unzähligen Klauen der Schafe einbrachen. Bran spürte die Kälte, als der Schlitten in den Schatten der bedrohlichen Hänge hineinglitt. Dort oben hingen gewaltige Schneewechten, die ihren Teil dazu beitrugen, die Sonne auszusperren. Er kannte diesen Ort gut. Im Herbst war er oft mit den anderen Männern hierher gewandert, um Bärenfelle zu holen. Es kam darauf an, gleich nach der ersten Frostnacht hier zu sein, denn diese Nacht jagte die Wärme des Lebens aus den Körpern, die sich hier versammelt hatten. Selbst der Vogelmann wusste nicht zu erklären, warum die Bären über die Ebene nach unten wanderten, um hier in dieser Kluft zu sterben, wo sie doch ihr ganzes Leben in den Bergen verbrachten. Bran kniff die Augen zusammen und schaute in ihrer Spur zurück. Er konnte keinen Vokker sehen. Vielleicht fürchten sie sich zu folgen, dachte er. Überall ragten Skelette aus dem Schnee. Man sagte über die Bärenkluft, dass hier die Geister, die Namenlosen, alle straften, die den Frieden der Bären störten. Er bereute all die Male, die er hierher geritten war, um ihnen das Fell abzuziehen, denn jetzt suchten ihn wieder die Erinnerungen heim. Er dachte an die Nächte, in denen er oben am Rand der Kluft gehockt und auf ein Tier herabgesehen hatte, das dort unten lag und darauf wartete zu sterben. Die Skelette sprachen zu ihm und erinnerten ihn daran, wie er die Bäuche der toten Tiere aufgeschlitzt und die noch warmen Gedärme herausgezogen hatte. Dann hatte er den Pelz abgeschabt und die enthäuteten Kadaver zurückgelassen.
    Und vielleicht waren es die Geister, die ihn dafür straften. Denn mit einem Mal schienen die Skelette ein gewaltiges Gebrüll anzustimmen. Er stand auf und sah, wie sich die Wechten oben an den Kanten lösten. Gwen schrie. Dann spürte er den herabprasselnden Schnee wie einen eisigen Wasserfall. Seine Gelenke gaben nach und er sackte in die Knie, während der Schnee auf ihn herabstürzte. Er holte tief Luft und hielt sich die Arme über den Kopf. Doch als er sicher war, dass der Schnee ihn unter sich begraben würde, verstummte das Brüllen plötzlich.
    »Macht die Pferde los!« Vaters Stimme drang zu ihm durch. »Gib mir dein Messer, Dielan!«
    Bran ruderte mit den Armen und schnappte nach Luft. Der Schnee, der ihn in die Knie gezwungen hatte, gab nach und entließ seinen Kopf und seine Schultern in die Freiheit. Er strampelte sich frei und kletterte heraus. Jetzt sah er, dass die Wechte nicht gleichmäßig in die ganze Kluft heruntergestürzt war. Dicht an der Felswand war man geschützt, in der Mitte der Kluft hatte die Lawine hingegen einen mannshohen Schneewall aufgetürmt. Die Schafe mähten kläglich und versuchten, sich vor dem Führungsschlitten aus dem Schnee zu befreien, um dann wie wilde Tiere auf die Freiheit am anderen Ende der Kluft zuzujagen.
    »Bran!« Vater packte ihn am Arm. »Wir müssen weiter!«
    Bran kämpfte sich aus dem Schlitten und wälzte sich auf den Boden. Und da sah er, wie sich die Riesen am Eingang der Kluft sammelten. Sie schnupperten in den Schlittenspuren, zeigten auf die Bergwände und bellten.
    »Hilf Dielan mit den Pferden!« Vater schrie, während er die Speere aus den Riemen unter dem Schlitten löste.
    Dielan hatte die zwei Pferde bereits aus dem

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