Brans Reise
Bogenschüsse weiter. Erst als sie Rast machten, kam Bran der Gedanke.
»Wo ist Vater?«, fragte er. Er legte Noj in den Schnee und stützte dessen Kopf auf seinen Schenkeln ab.
Dielan starrte auf seine zitternden Hände. »Ich wollte es dir nicht sagen, solange wir noch in der Kluft waren. Er ist gefallen.«
Bran warf einen Blick über die lang gestreckten sanften Hügel zurück. Dann sah er sich erneut um, doch sein Vater war nicht unter den Männern.
»Er ist tot.« Dielan sprach, während Tränen über seine Wangen rollten. »Als die Vokker auf uns zustürmten, war er plötzlich verschwunden, und… Ich habe ihn gesehen… Er lag einfach da und die Vokker trampelten ihn in den Schnee!«
Dielan stand auf und schrie. Bran blieb mit Nojs blutigem Kopf im Schoß sitzen. Er konnte nicht begreifen, was geschehen war. Konnte Vater tot sein? Er zählte die Männer. Zehn… und die anderen fünf. Waren das alle? Wo waren Verdar und Kemer, und Keler mit seinem Rentierfell?
»Du darfst jetzt weinen.«
Bran zuckte zusammen, als sich Turvi neben ihn fallen ließ. »Aber ich will dich nicht verbluten lassen.« Der Einbeinige riss einen breiten Lappen von seinem Umhang und sah sich die Seite von Brans Kopf an. Bran erinnerte sich an den Schlag, der ihn getroffen hatte. Er fasste sich an den Nacken und führte seine Hand über seine aufgerissene Haut nach oben. Zähes Blut verklebte seine Finger.
»Sitz still!«, sagte Turvi. »Die Keule hat ein Stück von deinem Ohr abgerissen. Es hängt noch an einer Faser fest.«
Bran betastete mit seinen Fingern den tauben Knorpel. Das letzte, etwa fingerbreite Stück seines Ohres hing nur noch an einem Hautfetzen an seinem Ohrläppchen fest. Turvi zog sein Messer aus dem Gürtel und schob Brans Hand beiseite. Dann durchschnitt die Klinge seine Haut. Turvi warf das Knorpelstück in den Schnee, drückte einen Streifen Stoff auf die Wunde und verband Brans Kopf. Danach beugte er sich zu Noj hinunter. Der Einbeinige nahm seinen Schal ab und begann damit die lange Wunde zu verbinden, die auf dem Schädel des Häuptlings klaffte. Bran betrachtete sie. Er hockte im Schnee und konnte nichts anderes tun, denn jetzt spürte auch er die Schmerzen. Sie brannten wie Feuer in seinem Nacken, loderten an seinem Kopf hoch und krallten sich über den Augen fest.
Wie immer war es Dielan, der ihn weckte. Der Bruder löste die Verschnürungen des Fells vor der Tür, kroch nach draußen und ließ es im Wind hin und her flattern. Bran drehte sich auf die Seite und spürte, dass die Krallen ihn losgelassen hatten. Gwen hatte den Jungen auf ihre Brust gelegt und das kleine Geschöpf hatte sein Gesicht in ihrer Halsgrube vergraben. Sie atmeten ruhig. Bran schob das Fell zur Seite und trat nach draußen. Dielan war nicht zu sehen, aber Bran war sich sicher, dass sein Bruder wie jeden Morgen hinter die Dünen gegangen war. Er hockte sich am Bach hin, formte seine Hände zu einer Schale und trank. Es herrschte bereits reges Leben im Lager. Tang wurde zusammengebunden, während andere einfach dastanden und gähnten. Bran schaute zu Nojs Hütte hinüber, doch der Steinhaufen lag verlassen da.
Als er wieder in die Hütte trat, war Gwen aufgewacht. Sie hatte ein paar Zweige aufgestapelt und ein Stück Birkenrinde entzündet, das sie unter die Zweige schob. Dann nahm sie einen Leinenbeutel von der Wand hinter ihrem Schlafplatz. Bran verzog die Nase. Jeden Morgen warf sie eine Hand voll dieser Kräuter ins Kochwasser und zwang ihn und Dielan das zu trinken, da sie meinte, es hielte Krankheiten ab.
»Die Götter wünschen dir Glück«, sagte sie lächelnd. »Sie grüßen deinen ersten Tag als Häuptling mit den Strahlen der Sonne.« Sie nickte in Richtung des flatternden Türfells.
Bran sah, dass sie Recht hatte. Er war so in seinen Gedanken versunken gewesen, dass er das gute Wetter nicht einmal bemerkt hatte. Die Regenwolken mussten weggeblasen worden sein und der Wind hatte sich gelegt, doch noch etwas in ihren Worten ließ ihn richtig wach werden. Er war Häuptling. Er war es, zu dem die Männer kommen würden, wenn sie Fragen wegen der Schiffe hatten. Und er war es, der sie bald aufs Meer hinausführen sollte.
Dielan tauchte in der Türöffnung auf und warf ein Stück Trockenfisch auf das Fell vor Gwens Füßen. Sie reichte ihm den Kessel. Dielan verschwand wieder, ehe er schließlich mit dem Wasser wiederkam.
Bran sagte während des Essens kein Wort. Dielan und Gwen hatten genug mit sich und dem Kind
Weitere Kostenlose Bücher