Brans Reise
Wintern, als Blutskalle noch ein junger Tileder war, wurde diese Burg belagert. Die Vandarer waren auch damals reich an Kriegern. Sie hatten sich mit den Krettern, Tuurern und Mansarern verbündet und verwüsteten alle Länder am Meer.«
»Sie nahmen Sklaven.« Vosnabar hatte nicht genug Geduld, um seinen Bruder ausreden zu lassen. »Menschenjäger nannte Vater sie.«
Nosnavar riss sein gesundes Auge auf und starrte ihn an. »Vielleicht willst du weitererzählen, Bruder?«
Bran nahm einen Schluck aus seinem Krug, während die zwei darüber stritten, wer mit der Geschichte über Blutskalle fortfahren sollte. Die Männer am Tisch lachten. Schließlich schlug Nosnavar mit der Faust auf den Tisch und verlangte Ruhe.
»Blutskalle«, sagte er, »war der mutigste Tileder, und die Skerge waren damals alt und schwach. Arborg hatte niemals einen Brunnen, und es war ein trockener Sommer gewesen, so dass die Arborger wussten, sie würden kaum viele Tage aushalten können. Blutskalle aber führte die Arborger durch das Tor, und in dem darauffolgenden Kampf bekam er seinen Namen.«
Nosnavar machte an dieser Stelle eine Pause und saugte die nachdenklichen Blicke der Männer am Tisch auf.
»Aber…« Er hob den Zeigefinger. »Die Menschenjäger, diese Allianz von Menschen, die schon immer unsere Feinde waren, durchbrachen die Angriffslinie und trieben die Arborger auf die Ebene hinaus. Es gelang ihnen, hinter die Mauern zu kommen und Frauen und Kinder mit sich zum Strand hinunterzutreiben, wo ihre Schiffe lagen. Und Blutskalles junge Frau war unter ihnen!«
Die Tileder schüttelten die Köpfe und nahmen tiefe Schlucke aus ihren Krügen.
»Es heißt, Blutskalles Bart und Haare wären an diesem Tag ergraut. Denn er durchsuchte auch den letzten Winkel hier hinter den Mauern, bis er schließlich einsehen musste, dass sie unter den Gefangenen war.«
Bran sah es vor sich. Wie der junge Krieger, dessen Hände noch vom Blut dampften, die schwarzen Häuser durchsuchte, rief und weinte.
»Was ist seither geschehen?«, fragte er, auch wenn er die Antwort erraten konnte.
»Die alten Skerge ernannten die drei mutigsten Männer des Kampfes zu ihren Nachfolgern, denn sie erkannten, dass sie selbst nicht mehr in der Lage waren, diese Stadt zu regieren, ohne Scham auf sich zu laden. Doch Blutskalle blieb nicht lange auf dem Thron sitzen, er rüstete ein Heer aus und segelte nach Vandar, verwüstete die Häfen und unternahm alles, um sie zu finden. Er suchte sie jeden Sommer während zweimal zehn Jahren, doch er hat sie nie gefunden.«
»Das ist eine traurige Geschichte.« Bran sah in den Schaum seines Kruges, der wie müde Wellen gegen die raue Innenseite des Trinkgefäßes zu platschen schien. Er konnte Blutskalle in seinem Langschiff sehen. Der Skerg stand hinter dem Bug und rief. Er schrie ihren Namen in den Horizont.
Tir… Tir…
»Du verstehst also«, sagte Vosnabar, »warum Blutskalle sich mit all seinen Schiffen und Kriegern an diesem Krieg beteiligen wird. Denn er hörte, was Visikal über Tir, Fa Ton und…«
Nosnavar legte ihm die Hand auf den Mund. Beide Brüder sahen wie erschreckte Kinder zu Bran hinüber.
Und Bran wurde beim Klang dieses Namens aus der warmen Ruhe gerissen, in die ihn der Met gehüllt hatte. Er sah sie am Feuer in Sars Saal und wie sie von den Inselbewohnern auf die Fußsohlen geschlagen wurde. Er erinnerte sich an die Wärme ihrer Haut, ihren Atem auf seinem Hals. Doch diese Bilder verschwanden ebenso schnell, wie sie gekommen waren, und schon war er wieder zurück an dem Tisch, müde und durstig auf einen weiteren Met. Und so ließ er ein paar Schlucke seine Kehle hinabrinnen, knallte den Krug auf den Tisch und lächelte.
»Ich bin Tirs Mann.« Er breitete die Arme aus. »Das ist kein Geheimnis. Ich habe sie aus Aard geholt, und wenn ich nach Tirga zurückkomme, wird sie an meinem Feuer sitzen und unter meiner Decke schlafen.«
Die Tileder sahen einander an. Es war ungewöhnlich für sie, einen Mann so über eine Frau sprechen zu hören. Doch Vosnabar hob seinen Krug und prostete ihm zu.
»Auf Bran!« Er stieß mit Nosnavar an, so dass der Met aus dem Becher schwappte. »Auf dass er viele Söhne bekommt!«
»Auf dass er viele Söhne bekommt!«, fielen die anderen mit ein.
Söhne, dachte Bran, während er trank. Mit so etwas hatte er niemals gerechnet. Aber das brachte die Zeit wohl mit sich. Söhne oder Töchter, sein Volk war nie so groß gewesen, dass sie sie unterschiedlich hätten behandeln
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