Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
Vom Netzwerk:
empor, die hoch dort oben auf der Brustwehr brannten. Er starrte an den Steinblöcken nach oben, bis sein Nacken zu brechen drohte. Er wollte beten, doch er wusste nicht, zu welchem Gott er beten sollte.
    »Heil Ar!« Visikal hob die Hand zum Gruß, und jetzt entdeckte Bran, dass sich dort oben hinter der Brustwehr etwas bewegte. Schilde und Helme blinkten im Schein der Fackeln.
    »Heil Ar!« Die Tileder wiederholten den Gruß, doch Bran brachte kein Wort über die Lippen. Denn jetzt begann das Tor zu knirschen, und er hörte die Trommeln und das Rufen von Männern. Das Tor teilte sich, und der Geruch von Menschen, Pferdemist und Feuer strömte ihm entgegen. Die zwei Torflügel glitten auseinander und öffneten den Blick auf eine gepflasterte Straße, fackeltragende Pfosten und eine Unzahl von steinernen Wänden, die beinahe vollständig in den Schatten der Nacht verborgen waren.
    Das Tor verstummte. Nur noch das Prasseln des Regens auf dem Boden war zu hören.
    Visikal warf einen Blick zurück auf seine Tileder, als verspüre selbst er eine Scheu, die Stadt der Riesen zu betreten. Dann senkte er den Kopf, legte die Hand auf den Knauf seines Schwertes und ging weiter.
     
    Welch wundersame Stadt war das! Bran rieb sich die Augen, denn nicht einmal die Sagen und Erzählungen des Vogelmannes hatten ihn auf all das vorbereiten können. Er ging über die gepflasterte Straße, zwischen Pfosten hindurch, die mit Schädeln und Fackeln geschmückt waren, und sah nun die Häuser hinter den Mauern. Sie waren größer, als er sich das jemals hätte vorstellen können. Die Fensterlöcher waren so groß, dass ein Mann aufrecht in ihnen hätte stehen können. An manchen Häusern quoll Rauch aus Schornsteinen, die wie kleinere Felskuppen aus den Dächern herausragten. Als sich das Tor hinter ihnen schloss, drehte er sich um und erblickte das Ochsengespann, das die gewaltigen Torflügel aufgezogen hatte. Die vom Regen durchnässten Tierrücken dampften. Die Ochsen waren an Ketten angebunden, die sich auf jeder Seite des Tores über zwei ölglänzende Eisenräder zogen. Die Männer, die die Tiere führten, waren die einzigen Menschen, die er auf der Innenseite der Mauern gesehen hatte. Sie trugen dunkle Umhänge, und ihre Gesichter waren nicht zu erkennen. Und auch wenn er jetzt Rüstungen von Bogenschützen oben auf der Mauer erahnte, war die Straße vor ihnen verwaist.
    Während sie weitergingen, bemerkte Bran, dass die Häuser auf unebenem Gelände errichtet worden waren. Nicht einmal den Riesen war es gelungen, das schwarze Gebirge zu zähmen, das zwischen den Hauswänden emporquoll und die Straße auf kurvige Umwege um Felsen und Klüfte herum zwang. Kurz darauf endete die Straße am Fuß einer flachen Klippe. Visikal führte sie ein paar breite Treppenstufen empor. Von dort aus konnte er erkennen, dass der Rest der Stadt unterhalb dieses Plateaus lag. Jetzt wirkten die Häuser nicht mehr so groß. Sie ballten sich im Schutz der Mauer in gleichmäßigen Kreisen um dieses göttliche Steinschild herum, auf dem er stand. Von hier konnte er auch erkennen, wie weit es von einer Seite der Mauern bis zur anderen war. Er hielt sich die Hand über die Augen und schätzte drei Pfeilschüsse von Ost nach West. Drei Pfeilschüsse voller Fackeln, die den Regen anfauchten, voller Pfosten mit den Schädeln gefallener Feinde und schwarzer Steinhäuser in den Straßen. Und noch immer sah er keine Menschen. Doch er konnte sie riechen: Leder und Haut, Mist und gebratenes Schafsfleisch.
    Bran stand lange da und betrachtete die Stadt, durch die er gegangen war. Und die Skerge der Tirganer erlaubten ihren Tiledern, dass sie den Anblick auf sich wirken ließen. Denn viele von ihnen waren noch niemals in Arborg gewesen. Dies war die wahre Heimat der Arer, der Ort, an dem ihre Vorfahren dereinst von ihren Freunden Abschied genommen hatten, um neues Land im Osten zu entdecken. Bran spürte die Stärke dieses Ortes. Die Felsen, dachte er, das sind die Wurzeln der Erde, entblößt für die Welt. Das Meer hat den Boden um sie herum weggespült, damit die Menschen sie unter ihren Füßen spüren können. Bran verstand das, denn sein Volk war ein Volk der Felsen. Der Boden ist das Fleisch toter Götter, hatte er gelernt. Die Flüsse sind ihr Blut und die Felsen Zähne und Knochen, an denen die Zeit genagt hat. Denn nicht einmal die Götter leben ewig. Wenn sie sterben, werden sie ein Teil der Erde und lassen Menschen und Tiere über ihre Körper wandeln. So,

Weitere Kostenlose Bücher