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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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mit all der Bestimmtheit, die ihm sein Alter und die vielen Schlachten, in denen er gekämpft hatte, gaben. »Das waren deine Worte, Visikal. Cernunnos erachtet es nicht als ehrenhaft, fremde Länder um ihren Reichtum zu berauben. Das hast du gesagt, Visikal.«
    »Ich bitte dich, Vare.« Visikal starrte ihn an, wohl wissend, dass alle Blicke auf sie gerichtet waren. »Ich flehe dich an, als Freund. Stifte keinen Unfrieden im Rat. Das können wir nicht mehr allein entscheiden. Das ist jetzt Ars Krieg, nicht Tirgas.«
    Vares Augen wurden schmal. Er sah in die Glut hinab und ließ die anderen reden.
    »Dann ist es beschlossen«, sagte Blutskalle. »Wir greifen Vandar in zehn Tagen an.«
    Arborgs drei Skerge streckten ihre Waffenarme nach vorn und grüßten das Feuer.
    »Vandar-var. Loacha Cernunnos!« Katga und Gebrochene Lanze folgten ihrem Beispiel.
    »Cernunnos zu Ehren!« Visikal und Ylmer hoben ihre Hände und führten sie zitternd zum Feuer, während sie zu Vare hinüberspähten. Der Skerg sah von der Glut zu den Händen im Lichtschein der Flammen auf. Sieben Hände.
    Es mussten acht sein.
    »Ehre…« Vare sah auf seine Schwerthand hinunter, die mehr Risse und Narben hatte, als er zählen konnte. Dann streckte er sie über die Flammen.
     
    Der Platz hinter dem Tor war von Buden und Heu gereinigt. Große Fässer waren aus den Winterlagern gerollt worden. Die Old-Myrer hingen über ihnen und schlürften das dunkle Gebräu, während Tirganer und Arborger ihre Helme zwischen den pelzgekleideten Männern in die Fässer drückten. Auf den Treppen entlang der Mauern standen Krieger mit Trommeln, Flöten und Sackpfeifen aus Schafsmägen. Sie spielten für den Krieg und das Blut der Vandarer und für die Sicherheit dieser letzten Nacht. Und die Arer tanzten wie Wölfe vor der Jagd. Sie hielten die Arme über dem Kopf und ließen ihren Körper eins werden mit der Nacht und den Fackeln, die an den Wänden brannten. Sie tanzten, um Cernunnos Ehre zu erweisen, für Treue und Glück. Sie tanzten für die Frauen von Ar, für diese letzte Nacht, in der sie sie noch hatten. Die Frauen entblößten ihre Schultern für sie, und wenn die Männer mürbe vom Gebräu und den Flötentönen umstürzten, halfen sie ihnen auf und gingen gemeinsam mit ihnen in die schwarzen Steinhäuser.
    Bran kannte das schon aus der Nacht, bevor er mit den Tirganern aufgebrochen war. Doch dieser Tanz war wilder. Die Tirganer waren in ihrer Kampfeslust und Freude über das Feuer gesprungen, hier fochten sie mit Fackeln und bemalten ihre Gesichter mit Ruß. Bald warfen sie ihre Helme ab und rangen mit den Old-Myrern um die Trinkplätze an den Fässern. Sie steckten die Köpfe in das dunkle Gebräu, erhoben die Hände zum Mond und heulten.
    Bran war auf den breiten Eckpfosten einer der in diesem Stadtteil häufigen Umzäunungen geklettert, von wo aus er einen guten Überblick über den Platz hatte. Keer wackelte, den Arm um eine Frau geschlungen, die gepflasterte Straße hinauf. Bran konnte bei all den tanzenden Menschen nicht viel von ihr erkennen, aber sie hatte lange Haare, die ihr über den Rücken herabhingen. Es war hell, doch nicht so golden wie das Haar der Tirganer. Wie viele unterschiedliche Schattierungen es hatte, je nachdem, wie das Licht der Fackeln auf die Haare fiel. Wenn die Haare nicht so glatt wären, dachte er, hätte das fast Tir sein können, die dort ging. Denn auch Tir hatte so eine unbestimmbare Haarfarbe. Es gab etwas an ihrer ganzen Erscheinung, das er nicht in Worte fassen konnte. Doch er konnte sie sich vorstellen, er konnte die Augen schließen und sie so deutlich sehen, als stünde sie hier direkt vor ihm.
    Er rieb sich die Augen und hielt die Luft an. Wenn er an sie dachte, kamen die schlimmen Bilder zurück. Er sah, wie sie sie am Boden festhielten. Sie schlugen ihre Speerschäfte gegen ihre Fußsohlen, bis ihre Schreie nur mehr ein heiseres Röcheln waren.
    Bran ballte die Faust. Diese Menschen, die sie gequält hatten, waren jetzt tot. Er selbst hatte auf Aard viele Männer getötet, und so verstand er nicht, warum ihn die schlimmen Gedanken noch immer quälten. Linderte die Rache womöglich doch nicht die Erinnerungen an das Unrecht vergangener Tage? Er legte seine Finger auf die Planke, die an den Pfosten gebunden war. Es gab so vieles, was er nicht verstand. Es schien Ewigkeiten her zu sein, dass er mit Velar und Hagdar um die Wette geschwommen war und das Felsenvolk ihn zum Häuptling auserkoren hatte. Und schon jetzt

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