Brans Reise
schlagen, und der Wind frischte auf. Der Wind kam von Osten, und Bran stützte sich auf die Reling und sah, wie die letzten Nebelzungen am Bugsteven vorbeizogen. Viele Schiffe waren vor dem seinen. Steuerbord, einen Steinwurf entfernt, stand Ylmer hinter der blauen Flagge am Ruder und dort unten…
Bran schob sich die Haare aus den Augen. Im Südwesten, am Rande des Nebels, tauchten die Langschiffe auf. Es waren viele. Die meisten von ihnen trugen schwarze Kreuze auf dem Segel. Das hatte er an keinem der Schiffe aus Tirga gesehen. Er versuchte sie zu zählen. Für jeweils zehn legte er einen Finger auf die Reling. Immer mehr glitten aus dem Nebel, alle mit diesem Kreuz auf dem Segel. Bran rechnete zweimal zehn und dann noch einmal fünf mit schwarzen Kreuzen. Tirga hatte fünfzehn Schiffe. Er blickte auf seine Finger hinab, gab es auf und zählte alle Schiffe von Ar zusammen. »Vier mal zehn…«, murmelte er vor sich hin, legte beide Hände ans Ruder und korrigierte den Kurs.
Das Meer war in diesen Tagen schläfrig und grau, und die glatten Wellen teilten sich willig vor dem Bug der Schiffe. Morgens lag dicker Raunebel über dem Wasser, doch die Steuermänner führten die Schiffe nach Gefühl und mit Hilfe der Wachen am Bugsteven. Die Nächte waren sternenklar und kalt, und die Deckplanken knarrten und knirschten im Frost. Unter Deck kauerten sich die Männer unter ihren Wintermänteln und Pelzen zusammen. Sie hielten die Hände über das bescheidene Feuer und verfluchten ihre Tileder, die ihnen nicht erlaubten, noch mehr trockenen Torf auf die Glut zu legen.
So segelten die Arer sieben Tage und sieben Nächte. Die Flotte war zunächst nach Nordwesten gesegelt, doch bald darauf hatten die Schiffe der Skerge einen eher westlichen Kurs eingeschlagen. Als der achte Abend dämmerte, hisste Blutskalles Schiff eine Fackel am Mast und drehte nach Süden. Die Mannschaften der vierzig Schiffe refften die Segel und schoben die Ruder aus, denn der Ostwind half ihnen bei diesem Kurs nicht.
In dieser Nacht fuhren die Schiffe in ein Dunkel hinein, das nicht einmal der Mond zu durchdringen vermochte. Schneewolken zogen auf, und bald darauf fielen dicke Flocken auf das Deck herab. Die Steuermänner schoben sich ihre Hüte tief in die Stirn. Die Ausguckwachen kletterten auf die Bugsteven und begannen einander zuzurufen, und so ging es weiter nach Süden.
Als Bran und seine Männer durch die Luke nach oben kletterten, um ihre Rücken nach einer langen Schicht an den Rudern zu strecken, wateten sie durch knietiefen Schnee. Kengber, der am Steuerruder stand, deutete auf die Bronzeschilde und bat sie, den Schnee über Bord zu schaufeln. Sie würden von einer Strömung angetrieben, und die Nacht hätte die Langschiffe nah an die vandarsche Küste herangebracht. Sie waren in feindlichen Fahrwassern.
Bran nahm ein Schild herunter und begann zu schaufeln. Er war solche Arbeit aus der Felsenburg gewöhnt, wo es die Pflicht der Männer gewesen war, die Treppen in den Felswänden schneefrei zu halten. Er schaufelte die Schneemassen über die Reling, beugte sich für eine neue Ladung hinunter und drückte sich mit den Beinen wieder hoch. Das, dachte er, war schlimmer als rudern. Und es schneite unablässig.
»Schiffe!« Die Wache sprang vom Bugsteven herunter in einen Schneehaufen, stand auf und hielt sich den Zeigefinger vor den Mund. Die Männer an Deck erstarrten. Kengber deutete auf die Luke, und Keer legte sich hin und flüsterte den Ruderern zu. Riemen und Männer verstummten, und die Ausguckwachen, die sich während der ganzen Nacht zugerufen hatten, waren mit einem Mal ohrenbetäubend still.
Visikal tauchte in der Luke auf und schlich sich, gebeugt und geschmeidig wie eine Katze, zum Bugsteven vor. Jetzt konnten sie es alle hören: Ruder, die ins Wasser getaucht wurden, und das Getrappel von Füßen auf den Decksplanken.
Da brach das fremde Schiff durch das Schneetreiben. Der Rumpf war nur ein Schatten an der Steuerbordseite des Langschiffes. Es hatte zwei Masten, die wie undeutliche Finger aus dem menschenleeren Deck aufragten. Das Schiff glitt rasch durch die Wellen, und als es vorbeifuhr, erkannte Bran die Gestalt eines Mannes, die sich über das Steuerruder beugte. Dann war es wieder verschwunden, und das rhythmische Knirschen der Ruder wurde immer leiser.
»Das war ein Zweimaster aus Vandar«, flüsterte Tarba. Er stand neben Bran, und sein Bart war nach dem Schneeschaufeln voller Reif. »Das hab ich an dem
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