Brans Reise
dachte er an sie wie an Fremde. Dielan, Turvi und die anderen, sie waren so schrecklich weit weg. Sie gehörten einer anderen Zeit an, der Zeit, in der er träumte.
Da knirschte neben ihm der Sand. Bran sprang vom Pfosten und wandte sich dem Laut zu. Blutskalle stand dort, die Fäuste auf das Gatter gelegt.
»Schöne Tiere«, sagte er. »Der gefleckte Hengst ist ein Geschenk von Old-Myre. Er sieht schnell aus, meist du nicht auch?«
Bran legte seine Hände auf die Planke. Der gefleckte Hengst hatte schwarze Socken über den Hufen und eine geflochtene Mähne. Er war größer als die anderen Pferde im Pferch.
Das Tier spitzte die Ohren, als einige der Old-Myrer auf dem Platz zu brüllen begannen.
»Er sieht stark aus.« Bran erinnerte sich daran, was Turvi über Pferde gesagt hatte. Es war wichtig, darauf zu achten, wie stark der Rücken hin und her schwang, und auch die Breite der Hüftknochen und die Art, wie es den Kopf hielt, waren wichtige Merkmale.
Blutskalle strich sich seinen Schnurrbart nach unten. Er wandte sich Bran zu und schob seine Hände unter den Gürtel.
»Ich habe von dir gehört.« Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite.
Bran sah, wie ihn der Skerg musterte – so hatte er selbst den gefleckten Hengst gemustert, um Stärke und Merkmale guter Abstammung zu erkennen.
»Es heißt, du seist von einem anderen Volk und dass du Visikals Nichte aus den Händen des Inselkönigs auf Aard befreit hättest.« Blutskalle warf einen Blick auf den Platz zurück, als habe er Angst, es könne ihn jemand sehen. »Es heißt ferner, dass du in diesem Krieg kämpfst, um deine Treue zu zeigen, damit du Visikals Nichte zur Frau nehmen kannst, wenn du nach Hause kommst.«
»Das stimmt.« Bran erkannte, dass sich Gerüchte in Ar schnell verbreiteten. »Tir ist meine Frau.«
Blutskalle näherte sich ihm. »Ich sehe, dass du sie vermisst. Deshalb werde ich dir eine Geschichte erzählen, nicht von Skerg zu Tileder, sondern von Mann zu Mann.«
Bran verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn an. Nosnavar hatte etwas über Blutskalle erzählt, etwas von einer Schlacht und von Frauen, die geraubt worden waren.
»Diese Mauern…« Blutskalle zeigte mit dem Arm auf die Fackeln oben an der Mauerkrone. »Diese Mauern waren einmal Zeuge eines großen Unrechts. Die Burg war viele Tage belagert worden, und wir ritten hinaus, um unsere Feinde zu töten. Ich war damals jung. Viel zu jung… Sie waren so zahlreich…« Der grauhaarige Mann sah zu Boden und schüttelte den Kopf. »Sie töteten zwei Pferde unter mir. Sie trieben uns auf die Ebene. Wir konnten nichts dagegen tun.« Er sah wieder auf. »Sie schossen Pfeile in meine Männer und hielten uns auf Distanz, doch dazu brauchten sie nicht einmal alle Krieger. Die anderen stürmten in die Burg und raubten Kühe und Korn. Sie zerschmetterten den Kopf meines Vaters an der Mauer und zerrten unsere Frauen mit ihren schmutzigen Fäusten an den Haaren davon. Sie raubten sie!«
Blutskalles Gesicht war schweißnass. Er ballte seine Faust und hielt sie vor sich. »In all diesen Jahren habe ich nach ihr gesucht. Ich habe Späher über Vandars Grenzen geschickt und viele Schlachten geschlagen. Doch ich habe sie nicht gefunden.«
»Es muss nicht unbedingt zu spät sein.« Bran sah weg, um dem stechenden Blick des Skergs zu entgehen. Er spürte, dass er etwas sagen musste. »Sie kann noch am Leben sein.«
»Ich weiß, dass sie lebt! Ich fühle es hier, in meiner Brust. Sieh nach ihr, Bran. Du gehörst einem anderen Volk an, einem Volk aus dem Norden, und ich habe gehört, dass die Nordländer gute Jäger sind. Ihr riecht und hört, was andere kaum wahrnehmen.«
Bran strich seine Haare über sein vernarbtes Ohr.
»Sie war eine schöne Frau«, sagte Blutskalle. »Sie hat rote Haare und grüne Augen. Groß ist sie, wie du. Sie heißt Tigam. Finde sie, und ich werde dir dankbar sein und dir und deinem Volk großen Reichtum geben. Sei gewiss, dass ich niemals eine andere Frau auch nur berührt habe, denn ich habe immer gehofft…«
Blutskalle hustete, und dann knirschte wieder der Sand. Als Bran aufblickte, war er verschwunden. Die Sackpfeifen klagten und die Flöten sangen von vergangenen Zeiten. Bran schlang den Umhang um sich und sah nach oben. Die Flötenspieler standen im Lichtschein der Fackeln. Sie hatten die Lederbälge unter ihren Oberarm geklemmt und ließen die Finger über die Knochenpfeifen tanzen. Es waren Krieger, die dort standen, in Leder gekleidete Männer mit
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