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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Zum ersten Mal seit langem fühlte er Wut. Er hielt sich den Pfeil mit der gebrochenen Flintspitze vor die Augen und starrte ihn lange an. Jetzt verstand er, warum der Vandarer den Pfeilköcher des Toten bei seiner Flucht mitgenommen hatte. Was für ein übler Gesell, dachte er, der dem Kampf ausweicht und dem Hunger überlässt, was das Schwert hätte erledigen können.
    Es waren sieben Tage bis zurück zu dem toten Vandarer, und lange dachte Bran darüber nach, zurückzugehen und die Reste des Leichnams zu essen. Doch er wusste, dass er es keine sieben Tage mehr aushalten würde. Jetzt spürte er, dass der Hunger ihn langsam wahnsinnig werden ließ. Er konnte nicht mehr klar sehen und vermochte den Umhang nicht mehr richtig um sich zu schlagen.
     
    Das Tageslicht trieb ihn weiter. Wohin, wusste er nicht. Er kroch unter dem Schutz der Fichte hervor und taumelte zwischen die Stämme. Ein Schritt folgte dem anderen. Zweige zerkratzten ihm das Gesicht. Er blinzelte in das grelle Sonnenlicht, das sich über die offenen Flächen zwischen den Wäldchen ergoss. Irgendwo blieb er stehen und schoss den Pfeil in den Himmel empor. Er wollte die Namenlosen treffen, die ihn so leiden ließen. Und der Pfeil verschwand in Licht und Schnee. Da lachte er und warf den Bogen weg, denn er brauchte ihn nicht mehr.
     
    Tage, Nächte. Er wusste nicht mehr, wie lange er gelaufen war, als ihn die Stimmen aus dem Halbschlaf rissen. Wie ein Hirschkalb hatte er sich an einem Baumstamm zusammengerollt, den Umhang über sich und die Haare voller Schnee. Er streckte seine Beine und stand auf. Er hörte Männerstimmen. Menschen. Essen.
    Bran ging den Geräuschen nach. Es begann, dunkel zu werden. Er kletterte eine Anhöhe empor, die erste, an die er sich seit dem Hügelland erinnern konnte. Die Bäume standen dicht um ihn herum, und er erkannte, dass er in einen Wald gekommen war. Der Schnee war von Fichtennadeln gespickt. Neben und über ihm bewegten sich die Zweige im Wind. Es roch nach Rinde und Feuer.
    Als er sich dem Gipfel der Anhöhe näherte, versteckte er sich hinter einem Stein und spähte zu dem Lagerfeuer auf der anderen Seite des Höhenzuges hinunter. Zwei Männer saßen dort. Sie trugen Pelze über den Schultern und Fellmützen auf dem Kopf. Der eine hatte ihm den Rücken zugedreht, doch der andere sah zu dem Hang, auf dem Bran lag, und schnupperte in die Luft. Dann raunte er dem anderen ein paar Worte zu und führte eine halb abgenagte Rippe zum Mund.
    Jetzt erblickte Bran die Pferde zwischen den Bäumen. Sättel und Packtaschen lagen im Schnee, und die Männer hatten eine Hirschkeule an einem Holzspieß über dem Feuer. Doch in ihren Schößen lagen auch Bogen, und an ihren Gürteln hingen Köcher. Sie sprachen wie die Vandarer, mit merkwürdigen Lauten, die sie irgendwie aus ihrer Kehle husteten, und flüsternden, schlangenartigen Worten.
    Da stand der eine von ihnen auf. Er legte die Hand auf seinen Bauch und stöhnte, doch der andere schob mit seinem Fuß Schnee zu ihm hinüber und deutete zwischen die Bäume. Der Vandarer ging ein paar Speerlängen durch den Schnee und hob sein Kettenhemd an, doch der andere war noch immer nicht zufrieden. Bran sah ihn zwischen den Stämmen verschwinden und begriff, dass er es jetzt tun musste. Er kroch zurück und rannte im Schutz des Höhenzuges heran. Der Vandarer sah ihn nicht kommen. Bran ließ die Axt auf seinen Schädel hinunterschnellen. Dann zog er den Toten in den sauberen Schnee weiter. Er schnitt ihm die Kleider vom Leib und kroch wie ein Wolf um ihn herum, ehe er die Zähne in den Arm des Toten schlug und zu essen begann.
     
    Bran erwachte von seinem eigenen Schrei. Er blickte auf seine Hand hinab. Bluttropfen sickerten aus der Bisswunde an seinem Daumen. Jetzt erinnerte er sich an seinen Traum. Ich werde verrückt, dachte er, als er aufstand und aus dem Schutz der Fichte herauskroch. Es dämmerte, doch er wollte nicht liegen bleiben. Er wollte gehen, bis er zusammenbrach. Dann würde er über sich selbst sagen können, dass er gekämpft hatte, wie Keer.
    Einen Steinwurf entfernt kam er wieder in ein Wäldchen. Die alten Fichten standen dort wie zweiglose Säulen und streckten sich dem Licht, hoch über dem Boden, entgegen. Er erkannte diesen Ort wieder. Die Fichtennadeln waren auf den Schnee gefallen, und dort vorn war der Höhenzug. Er hörte auch etwas von dort, das Klappern von Hufen und Schritten.
    Bran kletterte empor und versteckte sich hinter dem Stein. Er lauschte den

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