Brans Reise
dort auf den Sonnenuntergang. Dann banden die Old-Myrer Lappen um die Hufe der Pferde und gingen weiter durch die Talsenke. Sie hatten die Grenzregion des vandarschen Reiches erreicht, wo das feindliche Volk zahlreiche Festungen errichtet hatte. Sogar im Dunkeln erkannte Bran den Lichtschein zwischen den undichten Palisadenwänden, und er hörte Schritte und grölende Stimmen. Die Vandarer feierten, und ihm wurde klar, dass die Tauben bereits mit den Neuigkeiten aus dem Krieg im Westen herangeflogen sein mussten.
Die Old-Myrer folgten lange der Talsenke, bis sich neue Hügel aus dem Boden erhoben, die ihnen Schutz vor den Festungen gaben. Da wandten sie ihre Gesichter der aufgehenden Sonne zu und flüsterten den Namen von dem, der das Geweih trägt. Das war ihr Gebet; ein Wort, ein Name voller Dankbarkeit, dass er sie in ihre Heimat hatte zurückkehren lassen.
Des Abends saß Bran oft bei den Frauen, und das tat er auch in diesen letzten Nächten. Er briet Fleisch für sie und sah, wie sie sich satt aßen. Er sagte ihnen nicht, dass es Menschen waren, die sie aßen, denn er wollte nicht, dass sie hungerten. Die Old-Myrer hatten ihr Trockenfleisch weggeworfen, so dass sie ihnen keine andere Nahrung geben konnten. Bran saß da und sah dem Reitervolk zu, während sich die Nacht über das Hügelland senkte. Er hörte, wie sie einander diese merkwürdigen Worte zuhusteten und wie sie für die Verwundeten sangen. Oft konnten sie ihre Trauer über ihre gefallenen Kampfesbrüder einfach so herausheulen. Die Old-Myrer waren mehr Tiere und weniger Menschen als alle anderen Völker, die er je getroffen hatte. Wenn ein Krieger stolperte und auf den Pelz eines der älteren trat, konnte dieser aufspringen und ihn anfauchen. Trotzdem waren es gute Menschen, und jeden Abend gaben sie den Frauen frisches Fleisch, Schmelzwasser und Wein. Ein Dutzend Krieger hielt um das Lager Wache, und ihre Bogen und Lanzen zeichneten sich als schwarze Schatten vor dem Schnee ab.
Noch ein paar Tage ritten die Old-Myrer zwischen den Hügeln weiter. Bran sah, wie sich die Krieger von Tag zu Tag veränderten. Sie blickten sich nicht mehr so oft um, und ihre Späher ritten nicht mehr so weit vor dem Heer. Und Tigam, die alte Sklavin, saß nicht mehr müde und gebeugt im Sattel. Sie hatte sich aufgerichtet und blickte die ganze Zeit über wie ein Jäger, der in die Jagdgründe seiner Jugend zurückkehrte, nach vorne.
Am zwanzigsten Tag roch Bran das Meer. Die Old-Myrer ritten eine leichte Steigung auf einen Höhenzug empor, und der Geruch von Tang trieb mit den Windböen aus dem Norden über die Hügel. Er ritt an die Seite der Skerge. Da erreichte der vorderste Späher die Spitze des Höhenzugs. Er hob seine Lanze und schrie wie eine Krähe. Die Skerge gaben den Pferden die Sporen. Bran folgte ihnen, und als sich der Boden unter den Pferdehufen abflachte, weinte er vor Freude. Vor ihm lag das Meer. Die Sonne spiegelte sich auf den Wellen, die sich mit langen Schaumrändern gegen die Klippen warfen. Und ganz vorne, dort wo das Land ins Meer zu schießen schien, thronten die schwarzen Mauern von Arborg.
Er hörte es lange, bevor sich die Tore öffneten. Er hörte es lange, bevor das Heer der Old-Myrer auf die grasenden Schafsherden zuritt. Er erkannte die lang gezogenen Töne der Sackpfeifen wieder. Als die Old-Myrer den Hang zum Tor emporritten, erblickte er die Krieger, die auf der Mauer standen. Ihre zerrissenen Umhänge flatterten im Wind, und ihre Augen waren zum Himmel gerichtet. Katga und Gebrochene Lanze steckten die Köpfe zusammen und bellten dann ihre Männer an, abzusitzen. Dann winkten sie Bran und Tigam zu sich.
Als Bran durch das Tor ritt, schlug ihm der Gestank von Blut und Verwesung entgegen. Keine Fackel brannte entlang des gepflasterten Weges, doch die Pfähle waren mit den Köpfen der Vandarer geschmückt, mit klaffenden Kiefern und halb verwesten Augen. Die Krieger standen zwischen den Häusern und sahen sie vorbeireiten, doch niemand grüßte. Ein junger Mann lehnte sich an eine Hauswand und hielt seine Krücken mit der Armbeuge fest. Durch eine offene Tür hörten sie eine Frau weinen.
Bran, Tigam und die Skerge der Old-Myrer ritten zur Treppe. Dann saßen sie ab und ließen die Tiere frei laufen. Bran half der alten Frau die Treppenstufen bis zum obersten Plateau hinauf. Sie weinte und verbarg ihr Gesicht in den Händen, und Bran konnte nicht verstehen, warum. War sie nicht die Frau von Blutskalle, nach der der Skerg
Weitere Kostenlose Bücher