Brans Reise
erinnerten ihn immer wieder daran. Bran ließ seinen Blick über das Meer schweifen. Der Mond stand bereits hoch am Himmel und zeichnete im Osten einen silbernen Weg aufs Meer. Vielleicht sollte er dieser Route folgen? Jetzt steuerten sie nach Süden, in Richtung Krett und Tuur, wie er es geträumt hatte. Im Osten gab es keine feindlichen Völker. Jedenfalls keine, von denen er wusste. Aber dort gab es auch keine Gebirge und sein Volk brauchte Berge und Täler; gute Jagdgründe voller Wild.
Bran saß am Steuer, während der Mond seine Reise über den Himmel fortsetzte. Als es hell wurde, bemerkte er einen gelben Streifen am Horizont. Er beugte sich über die Reling, sah am Segel vorbei und erkannte, dass er sich viele Tagesreisen von Norden nach Süden erstreckte. Und im Süden konnte er jetzt die Klippen der hohen Berge sehen. Sie näherten sich dem Blutsund.
»Schiff voraus!«
Der Ruf kam vom vordersten Boot. Hagdar stand im Bug und deutete in Richtung Steuerbord, und die Männer an den Rudern standen auf, um etwas zu sehen. Bran stellte sich breitbeinig auf die Reling und hielt sich am Achtersteven fest. Er klemmte das Ruder mit seinen Schenkeln fest und blinzelte in die tief stehende Morgensonne. Auch er konnte die Segel erkennen. Der Zweimaster war von der gleichen Bauart wie die Schiffe, die er in Krett gesehen hatte. Er wusste, dass sich hinter der weiß gekalkten Reling Bögen befanden, die so groß waren, dass sie von drei Mann bedient werden mussten, und Köcher mit Brandpfeilen. Das war das Zollschiff der Kretter. Er hielt sich die Hand über die Augen. Oben auf dem hinteren Mast sah er den Umriss eines Mannes. Der Kretter hielt nach vorbeisegelnden Booten wie den ihren Ausschau.
»Lasst die Segel herunter!«, schrie Bran und löste die Verschnürung am Mast. Der Baum klatschte nach unten auf das Dollbord. Konvai begann zu schreien.
»Bring ihn zum Schweigen!« Bran hielt sich den Zeigefinger vor den Mund und umklammerte das Steuer. »Wir nähern uns dem Blutsund.«
Dielan warf das Segeltuch zur Seite. »Kretter!« Er packte den Mast und sah aufgeregt in alle Richtungen.
»Das ist das einzige Schiff.« Bran löste die Riemen, mit denen die Ruder an der Ruderbank festgebunden waren. Dielan griff zu, als Bran ihm das eine Ruder reichte, setzte sich neben seinen Bruder und begann zu rudern. In den Booten war es jetzt still. Nur noch das Eintauchen der Ruder ins Wasser war zu hören. Bran und Dielan ruderten mit kräftigen Zügen. Sie schlossen schnell zu Hagdars Boot auf.
»Direkt nach Osten?«, flüsterte der große Mann und deutete über den Bug nach Backbord.
»Nach Osten«, nickte Bran und tauchte die Ruder noch einmal ins Wasser. Dann lehnte er sich nach hinten, stützte sich mit seinen bloßen Füßen am Querbalken am Boden des Bootes ab und schob den Kahn weiter.
»Ruder nicht so hart!«, klagte sein Bruder. »Wir kommen sonst vom Kurs ab.«
Bran sah, wie der Blick seines Bruders zwischen dem Boot und den Pfeilköchern, die am Dollbord unter der Ruderbank festgebunden waren, hin und her flackerte. Dielan befürchtete stets das Schlimmste. So war er immer gewesen. Als sie klein waren und ihnen Vater von der Belagerung erzählt hatte, bekam Dielan oft so viel Angst, dass er sich in den Schlaf weinte. Vater mochte es nicht, dass Mutter ihn tröstete, denn er war der Meinung, Dielan müsse es lernen, seine Furcht zu meistern. Bran war zwei Jahre älter als Dielan und erkannte sehr wohl, dass der alte Febal seinen Söhnen Unrecht tat.
Sie ruderten mit den Booten direkt auf die Klippen an der Ostküste zu, und gegen Mittag erkannte Bran, dass das Zollschiff die Segel strich. Die Mannschaft musste auf einer Untiefe, die wohl nur die Kretter kannten, geankert haben. Das bedeutete, dass sie sie nicht gesehen hatten.
Gwen saß am Steuer und passte auf, während sie ruderten, und am späten Nachmittag, als die Sonne das Meer in goldenes Licht hüllte, drehte sie das Boot hart nach Steuerbord. Die anderen taten es ihr gleich, und als sie wieder einen geraden Kurs einschlug, sah Bran die Klippen neben dem Boot. Nur ein paar Pfeilschüsse von den Booten entfernt erhoben sich die gelben Bergwände aus dem Wasser. Sie waren steil wie Burgmauern, mit Furchen und Rillen wie die Rinde einer alten Birke. An manchen Stellen erkannte er dunkle Löcher, Öffnungen zu gewaltigen Grotten. Es gab enge Klüfte, in die das Wasser gesaugt wurde, und Felsvorsprünge, die über und über mit Nestern und Vogelkot
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