Brans Reise
über sich gebreitet und er wusste, dass Gwen ihren Umhang an der Schulter gelöst hatte, damit das Kind an ihrer Brust trinken konnte. Dielan hatte seinen Arm um sie gelegt, wie er es des Nachts immer tat. Bran drückte seine Zehen gegen das Widerlager am Boden. Manchmal, wenn sie glaubten er schliefe, konnte er sie hören. Gwen lachte meistens, ganz leise, während Dielan ihr etwas zuflüsterte. Dann krochen sie aus der Hütte, und er hörte ihre Schritte auf dem Boden, bis sie in den Dünen verschwanden. Dann drehte er sich auf die Seite, sah zu dem kleinen Konvai hinüber und wusste, was sie taten. Und er erinnerte sich an das eine Mal vor drei Wintern, als er mit Noj und Kai auf der Ebene war. Denn Frauen waren ihm nicht so fremd, wie alle glaubten. Dort draußen begegnete ihnen eine Gruppe Nomaden, als sie gerade Büsche für das Abendfeuer schnitten. Sie hatten mit geöffneten Handflächen gegrüßt und Frieden gelobt. Noj, Kai und er selbst hatten die langen Bögen und die Pfeilköcher an den Sätteln begutachtet, die Umhänge auf den Schultern der Reiter und die Ringe, die sie um den Hals trugen. »Steppenkrieger«, hatte Kai geflüstert und wie sie gegrüßt. Dann waren sie aus ihren Sätteln gestiegen, halfen mit dem Feuer und boten Trockenfleisch an. Sie erzählten ihre Geschichte, während der Abend zur Nacht wurde, eine Sage über Klansfehden und Verfolgung. Aber er war der Geschichte nur unaufmerksam gefolgt, denn seine Augen waren von einer Frau gefangen. Sie war jung wie er gewesen und hatte etwas abseits der Männer gesessen. Doch sie hatte ihn angesehen, während die Geschichte erzählt wurde, und als das Feuer heruntergebrannt war und sich jeder auf seiner Seite der Glut hinlegte, konnte er nicht schlafen. Damals verstand er nicht, was der Grund für seine Unruhe gewesen war, doch mit der Zeit hatte er begriffen, dass Männer so fühlen konnten, wenn sie eine Frau sahen. Am nächsten Morgen ritten die Nomaden nach Süden, und er wanderte gemeinsam mit Noj und Kai zurück zur Felsenburg. Ein solches Gefühl hatte er seither nie wieder gehabt, und er wusste, dass es stimmte, was Turvi zu sagen pflegte: Sie waren zu wenige. Wenn das Felsenvolk überleben wollte, mussten sie ihr Blut verdünnen, wie Wein mit Wasser.
Bran reckte sich und strich sich über den Nacken. Der Schmerz steckte tief. Das war einer dieser Anfälle, die normalerweise Tage dauerten. Er fuhr sich mit den Fingerknöcheln über die verkrampften Nackenwirbel und spürte, wie die Sehnen unter der Haut hin und her schnellten. »Du musst lernen, damit zu leben«, wiederholte er laut für sich selbst. Dann schloss er den Mund, denn die Worte machten ihn auf die unglaubliche Stille aufmerksam, die auf dem Wasser herrschte. Er sah zu den anderen Männern an den Steuerrudern hinüber, doch niemand schien ihn gehört zu haben. Sie hoben und senkten sich in ihren Booten, Richtung Südosten, und hatten die ganze Zeit über Rückenwind. Hagdar saß im vordersten Boot. Bran erkannt ihn an seinen breiten Schultern.
»Bran«, hatte der ältere Mann eines Tages gesagt, als sie am Lagerfeuer standen und froren. Es war der zweite Winter am Meer gewesen und die Furchen in seiner Hand waren nach Monaten schwerer Arbeit mit der Axt tief geworden.
»Es ist an der Zeit, dass du eine Frau findest. Du bist zweimal zehn Winter alt, und ich kann dir versichern, dass die Jahre von jetzt ab schnell verstreichen. Bald bist du alt und müde und dann ist es zu spät, eine Frau für dich zu gewinnen.«
Bran hockte sich hin und drehte seinen Stecken um, an dem er etwas über dem Feuer grillte. Das Aalfleisch war schon fast so weiß wie der Schnee ringsherum. »Hier gibt es keine Frauen für mich«, hatte er geantwortet und Hagdar hatte sich neben ihm hingehockt.
»Viele der Witwen haben die Trauer inzwischen hinter sich gelassen. Ich habe darüber mit Linvi gesprochen, und sie meint, dass…« Velar und Nosser gingen vorbei. Hagdar sprach leiser. »Sie meint, du solltest Kuenn oder Nemni fragen.«
»Sie sind schöne Frauen«, sagte Bran. »Aber ich weiß nicht, worüber ich mit ihnen reden soll. Der Kampf liegt noch nicht lange zurück und sie erinnern sich noch gut an ihre Männer.«
Hagdar hatte darauf mit einem Schnauben geantwortet, einen dicken Holzscheit aufs Feuer geworfen und war gegangen. Und er war einsam sitzen geblieben und hatte dem Rauschen der Wellen gelauscht.
Und jetzt war er einsam. Die zwei Gestalten im Halbdunkel unter dem Segeltuch
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