Brans Reise
erblickte, hätte er etwas ahnen sollen. Doch die Sonne ging langsam unter und zwischen den Felswänden war es dunkel. Er wollte sich umdrehen und Hagdar fragen, was das für eine merkwürdige Felswand war, als sich ein gewaltiges Rauschen über ihnen erhob. Denn der Fels war nicht weiß, es waren die Gefieder unzähliger Wasservögel, die sich diesen Ort als Brutplatz auserkoren hatten. Jetzt hatten sie die Eindringlinge bemerkt und sich an die Netze und Pfeile erinnert, mit denen ihnen die Seeleute nachstellten. Sie flogen auf und Bran sah eine einzige Wolke von Flügeln, als ob eine Decke voller Federn den Himmel verdunkelte. Sie kreischten lauthals, flatterten umher, kreisten über ihnen, stiegen zum Himmel empor und verschwanden dann in Richtung Meer.
»Das werden die Kretter sehen«, hörte er Hagdar sagen.
»Was sollen wir jetzt machen?«, fragte Dielan. Das Boot glitt an der Klippe vorbei und Bran bemerkte, dass sie in eine weite Bucht eingefahren waren. Einige Bogenschüsse vor ihnen verengte sich die Bucht wieder zu einer Kluft, doch hier waren sie von Sandstränden umgeben, die auf flacheres Wasser hindeuteten. An den Stränden bewegte sich etwas, doch im Dunkel der hereinbrechenden Nacht konnte er nicht erkennen, um was es sich handelte.
»Felsenechsen«, flüsterte Dielan. Bran erinnerte sich an die Geschichten, die Hagdar erzählt hatte. Die Echsen waren schlimmer als Haie, und hier an der Ostküste waren sie berüchtigt dafür, mit ihren breiten Kiefern die Ruderboote anzugreifen. Ein Schatten nach dem anderen glitt ins Wasser.
»Wir müssen an Land.« Hagdars Stimme klang dunkel. »An Land greifen sie nie an. Wir müssen an Land, Bran!«
Bran sah zu den Stränden hinüber. Die Schatten waren verschwunden. Er drehte sich zu den anderen Booten um. Gwen klammerte sich ans Steuer, und Hagdar starrte ins Wasser hinunter.
»Zum Strand!« Er deutete nach Steuerbord, kroch unter dem Segeltuch hindurch, setzte sich neben Dielan und nahm ein Ruder. Sie legten sich still in die Riemen. Bald schon stiegen rings um die Boote herum Blasen auf, die verrieten, dass sich die Echsen bereits unter den Booten befinden mussten.
»Da!«, rief Dielan, als ein schwarz glänzender Rücken auf der Steuerbordseite nur wenige Bootslängen von ihnen entfernt die Wasseroberfläche durchbrach. Die Echse war länger als das Boot. Bran schloss die Augen und hoffte, die Tiere würden sie in Frieden lassen, solange die Boote in voller Fahrt waren. Gwen schrie, als etwas unter dem Kielbalken entlangglitt.
»Ruhig!«, brüllte Hagdar. »Wir sind gleich an Land!«
Bran legte sich in die Riemen und pflügte das Boot durch das Wasser. Da spürte er plötzlich den Sand unter dem Bug und fiel nach hinten. Dielan nahm Gwen an der Hand und sprang über die Reling an Land. Bran löste die Speere vom Bootsrand, während die zwei das Kind aus den Decken unter dem Segeltuch holten. Auch die anderen Boote glitten auf den Strand. Er warf die Speere in den Sand und half Dielan, das Boot hochzuziehen. Der Sand war gelb und grobkörnig, die Felsen durchlöchert von den Höhlen der Echsen. Die Felswände waren hier nicht so steil, sie fielen schräg zum Strand hin ab.
»Da oben sind wir sicher.« Dielan sah zu dem Plateau am Ende der Felsen hinauf. »Morgen können wir wieder herunterkommen. Felsenechsen jagen nur nachts.«
Bran nahm die Speere. Dielan hatte wohl Recht. So war sein Bruder immer gewesen – hatte er erst einmal eine Geschichte gehört, vergaß er sie nie wieder.
»Wir klettern hinauf.« Er wandte sich den anderen zu, deutete die Felsen empor und erhob seine Stimme. »Wir müssen dort oben übernachten!«
Das Felsenvolk brauchte keinen Häuptling, um zu verstehen, dass sie nicht am Strand bleiben konnten. Hagdar führte sie zwischen den Echsenlöchern hindurch. Bran ging gemeinsam mit Dielan und Gwen über den Sand. Überall lagen Tangfasern, eingetrocknete Quallen und halb verfaulte Fische. Als sie emporzuklettern begannen, hörten sie unten am Strand Platschen und Fauchen. Über die Schulter sah er, wie sich die Echsen zwischen den Booten emporschoben. Die großen Tiere richteten sich auf ihren Vorderbeinen auf, schnüffelten wie Hunde, und verzogen sich dann in ihre Löcher.
Bran und sein Volk erreichten bald das Plateau auf dem Gipfel der Felsen, denn sie waren die Berge gewohnt. Und dort erkannten sie, dass die Kretter sie bereits bemerkt haben mussten, als sie auf die Felsenkluft zugerudert waren, denn das
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