Brans Reise
wandte sich den Inseln zu. »Mutter hat mir in Kajmen immer die Todesweisen über die Seewölfe vorgesungen. Wir haben keine Chance gegen sie!«
Bran wusste, dass sie Recht hatte. Die Vandaren waren gefürchtete Mörder und Seeräuber. Er hatte sie nie zu Gesicht bekommen, doch die Geschichten der Reisenden und Händler wussten mehr zu erzählen, als er wissen wollte. Ihre Schiffe waren angeblich doppelt so lang wie die der Kretter, und unter Deck ruderten Dutzende von Sklaven. Niemand konnte vor ihnen davonsegeln, hieß es.
Die Boote sammelten sich, und die Männer wandten sich an Bran. Hagdar ergriff das Wort.
»Sollen wir die Insel umfahren oder direkt auf sie zusegeln?« Der große Mann kratzte sich an der Brust, als ginge ihn das Ganze überhaupt nichts an.
»Vielleicht ist das ein Vorposten der Sieben Reiche?« Kaer deutete nach Süden. »Vielleicht liegt das Festland dahinter, außer Sichtweite?«
»Wir haben bald kein Wasser mehr«, sagte ein anderer.
Bran warf einen Blick auf die Wassersäcke unter der Mittelbank. Sie lagen schlaff da und würden nicht mehr allzu viele Tage reichen.
»Wir müssen an Land«, meinte Nosser. »Wir brauchen Wasser!«
Viele der anderen Männer bekundeten ihre Zustimmung.
Bran wandte sich an Turvi, der sich zwei Boote von ihm entfernt an den Mast stützte.
»Was meinst du, Turvi? Sollen wir an Land gehen, um Wasser zu holen?«
Der Alte lachte, wie er am Strand gelacht hatte. »Ich sollte dich fragen, Häuptling. Solche Entscheidungen musst du selbst treffen.« Er setzte sich hin und lehnte sich ans Dollbord, so dass sein Beinstumpf auf der Ruderbank ruhen konnte. Bran wusste, dass Turvi Recht hatte. Er schloss die Augen, denn vielleicht würde ihm das Meer eine Antwort zuraunen? Und da erinnerte er sich an die Bilder seines Traumes, die Inseln, den Strand und die Blumen.
»Haltet den Kurs.« Er setzte sich hin und klemmte das Ruder unter den Arm. »Früher oder später müssen wir unsere Wassersäcke auffüllen. Da können wir das ebenso gut auch hier tun.«
»Das ist Wahnsinn«, sagte Velar. »Bin ich denn der Einzige, der bei den Geschichten über die Südvölker zugehört hat?« Er stieß sein Boot von Hagdars ab und schob platschend die Ruder zurecht. »Aber wir wagen es ja nicht, Halbohr, unserem Häuptling zu widersprechen!«
Bran sah sein höhnisches Grinsen. »Haltet den Kurs«, wiederholte er. »Wir brauchen Wasser, Südvölker hin oder her.«
Die Männer nickten, doch einige blickten finster drein. Sie lösten die Boote voneinander, packten die Ruder und ließen den Wind die Segel straffen.
Gegen Mittag waren sie so weit nach Süden gekommen, dass es nicht mehr so aussah, als würde die Insel über dem Wasser schweben. Sie war flach und von Wald bedeckt. Auch im Südosten war jetzt Land zu sehen. Die Insel schien die nördlichste eines ganzes Archipels zu sein.
Etwas später waren sie so nah herangekommen, dass er einzelne Baumkronen unterscheiden konnte. Das Meer sah jetzt nicht mehr blau, sondern grün aus und die Wellen wurden flacher. Dielan deutete ins Wasser hinunter, und Bran bemerkte, dass sie bereits den Grund sehen konnten. Der Sand lag in tiefen Furchen unter ihnen. Er war sauber und ohne Tangbewuchs. Merkwürdige Fische glitten wie flache silberne Schilde über die Furchen. Solche Fische hatte er noch nie gesehen. Die Boote näherten sich einem breiten Strand, der die ganze Nordseite der Insel zu umziehen schien. Bran löste das Seil, das den Querbaum hielt, und ließ das Segel fallen. Hagdar hatte bereits die Ruder ausgeschoben, und die anderen taten es ihm gleich. Dielan zählte die Pfeile im Köcher.
Als das Boot auf dem Sand auflief, sprang Bran über die Reling. Gemeinsam mit Dielan zog er das Boot an Land. Hagdar achtete darauf, dass die Männer die Verpflegungstonnen entluden und die Boote daran vertäuten, damit sie nicht vom Gezeitenstrom aufs Meer hinausgespült wurden. Doch Bran vermochte jetzt nicht an so etwas zu denken, denn diese Insel glich keinem Ort, den er kannte. Dort, wo der Sand endete, wuchsen Eichen, deren Blätter so groß wie sein Brustkorb waren. Sie trugen Früchte, groß wie Kinderfäuste, obgleich es noch lang nicht Herbst war.
»Das ist ein Trollwald.« Dielan stand neben ihm und dachte an die Märchen, die ihnen der Vogelmann erzählt hatte, als sie klein gewesen waren. »Der ist verhext, wie der Westwald!«
Bran fasste sich an den Nacken; er wusste, dass die anderen auf die Worte des Häuptlings
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