Brans Reise
Frauen legten sich zu ihnen unter das Segeltuch. Bran hielt Wache, während Dielan und Gwen unter die Decke krochen. Konvai weinte wie üblich einen Moment lang, bis Gwen ihn an die Brust legte. Dann wurde es still. Bran lehnte seinen Kopf an den Achtersteven und beobachtete die untergehende Sonne. Es erschien ihm so sonderbar, dass die Schwester des Windes auf dem Meer so anders aussehen konnte. In der Felsenburg hatte die Sonne nie ihre Farbe verändert, ehe sie hinter den Berggipfeln verschwunden war. Da schmückte sie sich nicht, wie hier, mit goldenen Farben. Er bemerkte, dass er das Meer mochte. Früher war das Meer immer etwas Fremdes für ihn gewesen, etwas Bedrohliches, Wildes. Er hatte nie verstanden, wie Hagdar im Meer eine weibliche Gottheit sehen konnte. Doch jetzt verstand er es. Das Meer benahm sich wie eine Frau, die einen Mann verführen wollte, ehe sie unter die Decken kroch. Es machte sich so schön, wie es nur eben ging, einzig um ihn zu besitzen. Er spielte mit diesem Gedanken. Nicht nur deshalb, weil er noch nie eine Frau auf diese Art gesehen hatte, sondern auch, weil er nicht wusste, was er von der Wasserfläche dort draußen halten sollte. Wollte er vom Meer besessen werden? War es das? Er wusste es nicht.
Bran schlief am Achtersteven ein. Er ließ die Wellen die Furcht fortspülen, die er vor dem Blutsund verspürt hatte, und ebenso die Bilder der ertrinkenden Kretter und der gierigen Echsen.
Als er erwachte, waren Dielan und Gwen bereits auf. Bran hatte seine nackten Beine unter sich gezogen und spürte den Rand einer Decke unter seinem Kinn.
»Ich habe dich zugedeckt.« Gwen zwinkerte ihm zu. »Konvai hat mich heute Nacht wach gehalten, und ich habe gesehen, dass du gefroren hast.«
Dielan riss einen Streifen vom Trockenfisch, an dem er kaute, und gab ihn ihr. »Hagdar meint, wir sollten bald aufbrechen. Der Wind steht günstig.«
Bran blickte aufs Meer hinaus. Die Wellen waren ruhig und friedlich. Die Tangfasern, die auf den Schären wuchsen, hoben und senkten sich in der Dünung. Über ihnen lächelte der Himmel mit ein paar hellen Wölkchen. Auch die Menschen in den Booten ringsherum aßen und tranken und sammelten Kräfte.
»Lasst uns aufbrechen«, sagte Bran. »Löst vorne die Vertäuungen.« Er stand auf und erhob seine Stimme. »Ich meine, wir sollten jetzt weitersegeln!« Die Männer nickten und warfen die Trockenfischstücke zurück in die Tonnen und Ledersäcke. Bran erkannte, dass sie diesen Ort nicht mochten, und wenn er sich umsah, fühlte er sich auch nicht wohl. Das Böse lauerte in den Schatten dort hinten, das Nachttier, das sich von Fischen und Seehunden ernährte, die sich hier hinein verirrten. Mit einem Mal spürte er einen Druck in seiner Brust. Nur die Kretter, dachte er, waren ihnen gefolgt, um zu töten. Für Gold und Sklaven. Er hatte getan, was er tun musste, um sein Volk zu schützen.
»Alles klar.« Dielan warf das Tauende unter die Mittelbank, während der Bug des Bootes von der Felswand wegzutreiben begann. Bran bemerkte, dass er in seinen Gedanken versunken war, und beeilte sich, die Verschnürung am Achtersteven zu lösen. Dann zog er das Seil durch den Ring ins Boot und stieß sich ab.
Das Felsenvolk ließ die Boote ein wenig zurück in den Kanal treiben, um eine Reihe bilden zu können. Bran und Dielan bildeten die Spitze und trieben das Boot mit langen Ruderschlägen auf die Schären zu. In dem ruhigen Wasser gelang es Gwen ohne Schwierigkeiten, das Boot zwischen den Tangflächen hindurchzusteuern. Bald schon sah Bran das Land hinter dem letzten Boot verschwinden. Sie waren wieder auf dem Meer, und er freute sich darüber. Er roch das Wasser und spürte die Wellen unter dem Boot. Der Wind spielte mit seinen Haaren, er wehte aus Norden.
Schon bald konnten sie das Land im Osten nicht mehr sehen. Im Norden und Westen erhoben sich noch immer die graugelben Klippen des Blutsundes, und auch, wenn er es von seinem jetzigen Standpunkt aus nicht sehen konnte, so wusste er doch, dass sie einen Hafen voller Kriegsschiffe verbargen. Aber er sah keine Segel auf dem Wasser. Die auf dem Zollschiff zurückgebliebene Mannschaft hatte noch nicht verstanden, was im Kanal geschehen war.
Bran wartete, bis die Sonne unterging, ehe er die Ruder einzog. Die Geschichten, die er gehört hatte, wussten zu erzählen, dass die Tuurer südlich von Krett beide Seiten des Meeres beherrschten. Sie waren gefürchtete Sklavenhändler und Seeräuber, und es war sicher das
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