Brans Reise
Wand. Ein gutes Dutzend winziger Kammern lag hinter hauchdünnen Vorhängen verborgen, hinter denen Bran die Umrisse junger Frauen erkennen konnte, die auf dicken Pelzen saßen oder lagen.
Die Jäger stellten sich vor einen Erdhaufen, der zur Linken der Feuerstelle aufgeschichtet war. Zwischen zwei Fackeln, die an lange Speerschäfte gebunden waren, saß ein dicker Mann auf einem kunstvoll ausgeschmückten Stuhl. Er trug einen grünen Umhang und schnarchte laut. Um ihn herum saßen viele Frauen, und Bran versuchte, sie nicht anzustarren, denn sie trugen bloß ein Schaltuch und einen dünnen Lendenschurz. Am Fuß des Erdhaufens saßen drei Männer und spielten Laute. Hinter dem Dicken stand ein alter Mann mit einem weißen langen Bart, der ihn an Turvi erinnerte, obgleich dieser noch beide Beine hatte.
Der Anführer der Jäger grüßte in einer Sprache, die Bran und Hagdar nicht kannten. Dann drehte er sich halb zur Seite und streckte seinen Arm zu ihnen aus. »Wir bringen Euch Gäste, Sar der Dritte!«
Der Dicke schnarchte weiter. Da beugte sich der Alte mit dem weißen Bart vor und schüttelte ihn leicht an der Schulter. Der Dicke schrak auf, bevor er wieder auf seinem Stuhl zusammensackte und schmatzend und gähnend sitzen blieb.
»Sar der Dicke«, flüsterte Hagdar. Bran schluckte das Lachen hinunter. Der fette Mann sah aus wie ein Frosch im Frühling, seine Bewegungen waren träge, und er vermochte kaum seine fleischigen Augenlider zu öffnen. Doch der Alte hinter dem Stuhl räusperte sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Da kam Leben in den verschlafenen Mann. Mit äußerster Kraftanstrengung richtete er sich in seinem Stuhl auf und heftete seinen Blick auf den Jäger.
»Mana Rimke?« Er gähnte erneut.
Der Jäger schüttelte den Kopf und antwortete mit weiteren merkwürdigen Worten. Dann deutete er auf Bran und Hagdar. Der Dicke fasste sich an sein bärtiges Kinn. Er drehte seinen Spitzbart nachdenklich zwischen seinen Fingern.
»Ich bin der Inselkönig«, sagte er. »Erzählt mir, wo ihr herkommt.«
Der Jäger begann zu sprechen, verstummte aber gleich wieder, als ihm der Inselkönig einen unmissverständlichen Blick zuwarf.
»Du sollst antworten.« Hagdar lehnte sich zu Bran hinüber. »Und denk dran, dass wir hier weit von unseren Booten entfernt sind.«
»Wir kommen aus dem Norden«, sagte Bran.
Der Inselkönig neigte den Kopf leicht zur Seite. »Aus dem Norden? Aus welchem Reich?«
Bran sah zu Hagdar hinüber, doch der zuckte mit den Schultern. Keines der Völker nördlich des Blutsundes beanspruchte ein eigenes Reich, das wussten doch alle. Es gab dort Städte und Siedlungen, aber keine Reiche. Die Ebenen und die Berge waren für alle da, die sie durchwandern wollten.
»Wir stammen aus der Felsenburg.« Bran hob die Arme über den Kopf. »Aus dem Lanzengebirge.«
Der dicke Mann sah ihn verwirrt an. »Felsenburg?« Er drehte sich zu dem Alten hinter dem Stuhl um, der ihm etwas zuflüsterte. Da nickte der Inselkönig und wandte sich wieder Bran zu.
»Mein Berater sagt, dass ihr keine Feinde seid.« Er drehte die Spitze seines Bartes mit seinen Fingern hin und her und sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. Dann stütze er seine Hände auf die Armlehnen, beugte sich vor und lächelte. »Und dann seid ihr Freunde, so lasst uns feiern!«
Der Inselkönig wedelte mit der Hand und bellte den Kriegern am Feuer ein paar Befehle zu. Die Männer lösten Seile an den Balken und ließen mächtige Fleischstücke aus dem Halbdunkel unter dem Dach des Saales herab. Die Saitenspieler begannen wieder zu musizieren, und die Frauen traten aus ihren Kammern und kamen tanzend auf sie zu.
»Erinnere mich daran, dass ich bereits eine Frau habe«, sagte Hagdar, als sich eine von ihnen an ihn schmiegte und ihn zum Feuer zog. Dann spürte Bran zarte Hände auf seinem Rücken, und noch ehe er wusste, was geschehen war, hatte er seinen Speer abgelegt und sich neben Hagdar ans Feuer gesetzt. Der Inselkönig machte es sich, umgeben von seinen Kriegern, auf der anderen Seite der Feuerstelle bequem. Die Frauen standen im Kreis um das Feuer herum und warteten, bis die Männer sich gesetzt hatten. Dann legten sie ihnen die Weinschläuche in den Schoß.
»Trinkt!« Der Inselkönig warf sich seinen Weinschlauch über die Schulter und stopfte sich die Öffnung in den Mund. Bran sah, wie das Gebräu an dem dicken Hals herabrann. Dann führte auch er die Spitze des Weinschlauches an die Lippen und nahm einen Schluck. Es
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