Brans Reise
taumelte nach hinten. Der Gesang und die Worte schienen den ganzen Saal auszufüllen und in ihn einzudringen. Er begriff jetzt. Wer sie war, was sie war. Er drehte sich zum Tor um, während der Gesang in seinem Kopf schwamm. Seine Augen gehorchten ihm nicht mehr. Er zielte auf die Tür und setzte einen Fuß vor den anderen, schneller und schneller, weg von dem Steinriesen und dem Dunkel. Dann trommelte er mit den Fäusten gegen das Tor und taumelte hinaus.
Bald wussten alle, dass Tir, die Galuene von Fa Ton, Visikals Nichte, in ihre Geburtsstadt zurückgekehrt war. Die Menschen von Tirga, die selbst hinausgesegelt waren, um zu sehen, was mit dem nördlichsten Vorposten des Reiches geschehen war, schliffen ihre Langschwerter und begannen wieder, von einem Feldzug gegen die Vandaren zu sprechen. Aber der Winter hatte an den Kornlagern gezehrt, und bis jetzt war der Sommer trocken gewesen. Die drei Skerge trafen sich im Zwölften Turm, um sich zu beraten. Sie stiegen mit ihren Umhängen all die Treppen zum Dach empor, hielten sich ihre narbigen Fäuste vor die Brustschilde und blickten über den Hafen, die Schiffe und das Meer. Sie sahen auf die Menschen auf dem hintersten Anleger herunter, die in Richtung Stadt schauten und deuteten. Sie hatten Tir nach Hause gebracht.
»Sie können ihre Zelte auf Visikals Brachland aufschlagen«, sagte Vare, ein weißbärtiger Riese von Mann. Sein narbiges Gesicht zeugte von vielen Kämpfen, und der Schaft seines Schwertes, das vor seinem Brustschild emporragte, war mit Kerben verziert, die eine Unzahl gewonnener Zweikämpfe verrieten.
»Es ist wahr, dass Tir die Tochter meines Bruders ist«, sagte Visikal. Er war ein großer Mann mit langen Armen, die sich um seinen Körper schlangen, so dass es unablässig so aussah, als wolle er nach dem juwelenbesetzten Schwert greifen, das in seinem Gürtel blinkte. »Es freut mich und meine ganze Familie, dass sie die Untaten der Vandaren überlebt hat und nach Tirga zurückgekehrt ist.« Er ging zur anderen Seite der Aussichtsplattform hinüber und sah in Richtung Galuenenturm. »Aber ich traue dem Mann nicht, den sie zu heilen versucht. Es heißt, er habe nur ein Ohr. Und Vandars Gott, der, den wir nicht mit Namen nennen, hat auch nur ein Ohr. Die Schriftgelehrten wissen zu erzählen, dass der Einohrige die Gestalt eines Menschen annehmen und als Fremder Unheil über uns bringen kann.«
»Viele Männer verlieren im Kampf ihre Ohren.« Ylmer, der jüngste der drei, schlug seinen Umhang über die Schulter nach hinten und entblößte die lange Narbe auf seiner Brust. »Es ist ein Zeichen der Männlichkeit, des Feindes Schwertklinge auf seiner Haut zu spüren. Ich sage euch, lasst uns diesem Fremden helfen. Sie sind nur wenige, und wenn sie sich als unwürdig erweisen, können wir sie wieder aufs Meer hinaustreiben.«
»Mir gefällt das nicht«, brummte Visikal. »Als Tir jetzt in mein Haus kam, sprach sie mit meinen Frauen. Sie sagte, dass sie die Wunden des Einohrigen – sie nannte ihn Bran – mit Kräutern gewaschen und zu Cernunnos gebetet hat, und sie weinte und hoffte, er werde wieder gesund werden.«
Vare lachte. »Sie ist eine Galu, Visikal. Es ist ihre Bestimmung, Kranke zu heilen. Und sie ist inzwischen eine erwachsene Frau. Was, wenn sie sich in ihn verliebt hat? So etwas ist doch gut für junge Menschen!«
Visikal setzte seinen Helm auf, der an einer Schnur an seinem Gürtel gehangen hatte. Er ging zu den anderen zurück, legte seine große Faust auf sein Brustschild und biss sich in den Bart. »Gut, gut. Dann lassen wir sie also weitermachen. Und morgen werde ich einen Boten zu den Fremden schicken, dass sie ihre Zelte auf meinem Brachland aufschlagen dürfen. Lasst uns jetzt entscheiden, was wir mit den Vandaren machen.«
»Voller Angriff«, meinte Ylmer. »Wir schicken einen Boten zu den Old-Myrern. Sie können von Süden angreifen und die dortigen Festungen einnehmen. Wir segeln mit den Arborgern und erobern alle Städte westlich von Oart.«
»Du redest so, als ginge es um eine Hasenjagd.« Vare brach ein Steinchen aus der Mauer und schnippte es in den unterhalb liegenden Garten. »Woher weißt du, dass uns die Arborger auch dieses Mal wieder unterstützen werden? Und die Küste Vandars ist lang. Wir werden sie nicht halten können, ehe wir nicht auch die letzte Stadt oder Burg östlich von Mansar eingenommen haben.«
»Ein solcher Krieg wird viele Opfer verlangen«, sagte Visikal. »Aber die Scham haftet uns an,
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