Brans Reise
Tierhäuten zusammengenäht waren und Schutz vor dem Regen boten. Dort entzündeten sie Feuer und wärmten sich zum ersten Mal seit langem. Sie aßen ihre letzten Reste Trockenfisch und baten Kragg um Glück, dann schliefen sie unter ihren Decken ein.
In dieser Nacht kroch Turvi nach draußen und hinkte zu den Booten hinunter. Er grüßte Nosser und Velar, die krampfhaft versuchten, sich unter ihren Umhängen trocken zu halten, während sie Wache hielten, und verschwand zwischen den Häusern. Er kümmerte sich nicht um das junge Paar, das ihn anstarrte, als er auf die breite Straße vor dem Hafen kam, und schien es nicht einmal zu bemerken, als er in eine Rinne trat, in der der Regen abfloss. Turvi stützte sich auf seine Krücke und hinkte so schnell es nur ging in Richtung Mole. Er passierte die letzte Steinbrücke, neben der die Boote in den Wellen dümpelten, und kletterte die Treppe hinauf, die auf die Mole führte. Dann kämpfte er sich auf der Seeseite über die groben Steine nach unten, bis die stürmische See seinen Fuß umspülte. Er steckte eine Hand ins Wasser und schnupperte in den Nordwind. Er zog einen Primstab heraus, den er seit der Felsenburg unter seinem Hemd versteckt hatte, und zählte die Kerben in ihm.
»Leb wohl«, flüsterte er. »Möge die Nacht der Jahreszeiten dir gnädig sein. Denn ich werde an dich denken, Sommer. Ich werde mich an dich erinnern, und wenn mich der Winter leben lässt, werde ich der Erste sein, der dich wieder willkommen heißt.«
Schatten und Turm
B ran hörte den Gesang. Die Worte waren ihm fremd, und so fürchtete er sich zu Beginn. Was wollen sie von mir?, dachte er. Und warum kann ich diejenigen, die singen, nicht sehen? Lange war der Gesang das Einzige, was er wahrnahm. Er konnte nicht sehen und wusste nicht, wo er war. Er trieb in einem Dunkel umher, in dem es keine Zeit gab. Deshalb wusste er nicht, wie lange die Stimmen gesungen hatten, als er wieder sehen konnte.
Unter ihm standen viele Frauen im Kreis um eine Steinplatte herum. Als einzige Kleidung trugen sie dünne Schals, die sie um ihre Körper geschlungen hatten. Ein Mann lag auf einem Steinblock, er hatte viele Wunden. Eine der Frauen trat vor und schnitt sie mit einem bläulich schimmernden Dolch auf. Die Frauen drehten den Mann auf die Seite und durchtrennten die Nähte, die er in seinem Rücken hatte. Dann zogen sie ihm seine kurze Lederhose aus und wuschen den leblosen Körper mit Schwämmen. Die Frau mit dem Dolch schnitt ein paar weiße Fleischfetzen ab, die aus der Wunde im Oberschenkel herausragten, und da schrie Bran, denn es stach in seinem eigenen Bein.
Als er wieder zu dem Mann hinunterschaute, sah er verändert aus. Er war schwach und mager, und Bran kniff die Augen zusammen, denn er erkannte ihn nicht. Doch da sah er die Klauen, die sich um seinen Kopf legten. Die Hand glich einer Schildkröte, denn es gab keinen Arm an ihrem Ende. Die Klauen krallten sich unmittelbar über seinem rechten Auge fest. Bran schrie, denn jetzt spürte auch er sie.
»Nimm sie weg!«, rief er, doch die Frau hörte ihn nicht. Die Klauen drohten sein Auge zuzudrücken, und sein Kopf brannte. »Hilf mir«, flüsterte er.
Er sah den Mann und die Frauen an, während er davonglitt. Sie wurden kleiner und kleiner unter ihm, bis er durch eine Dachluke davonschwebte. Dort blinzelte er in den Himmel, die weißen Wolken und das Sonnenlicht. Und er sah, dass er in ein Tal gekommen war. Unter ihm war ein fruchtbarer Wald mit zahlreichen Lichtungen. Ein Fluss floss durch das Tal und Pferde grasten zwischen den Bäumen. Es war ein wundervoller Ort. Nach Süden und Osten war das Tal durch hohe Felsen geschützt, und er wusste, dass hinter den Bergen das Meer lag. Dort, begriff er, gab es die Stadt am Ende der Welt. Und er sah eine Öffnung in den Felsen, einen Gang unter der Erde, versteckt durch einen Wasserfall. Er sah den Weg.
Mit einem Mal war er wieder über dem verwundeten Mann. Er war nicht mehr leblos. Die Muskeln spannten sich unter seiner Haut an, und er wand sich auf der Steinplatte hin und her. Nur noch eine der Frauen war anwesend. Als der Mann die Arme hob, blickte sie auf. Bran kannte sie. Das war Tir.
»Komm zurück«, sagte sie.
Bran sank zu ihr nach unten. Die Klauen auf der Stirn des Mannes erschreckten ihn, und er zögerte. Da kletterte sie auf den Steinblock und reichte ihm die Hand.
»Ich will nicht.« Er weinte jetzt. »Ich habe Angst vor den Klauen!«
Aber Tir hörte ihn nicht. Sie zog ihn
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