Brans Reise
»Er führt dich in den Garten hinunter und von dort aus kennst du den Weg.«
Bran stellte sich an ihre Seite, denn zwischen den Kornsäcken war es eng. Er wollte ihr danken, doch er wusste nicht, wie er das sagen sollte. Es wäre leichter, wenn sie nicht so dicht neben mir stünde, dachte er. Denn das Talglicht, das sie vor ihrer Brust festhielt, war das Einzige, was sie von ihm trennte. Doch er sah sie an, und sie war die seine, bis sie ihre Augen niederschlug. Da trat er in den Regen hinaus. Er rannte durch den Garten und watete durch den Bach. Als er die Treppe erreichte, blieb er stehen und sah über die Stadt und das Meer. Er sah zum Himmel empor und ließ den Regen auf seine Brust trommeln, so dass alle, selbst die Namenlosen, sein Glück erkennen konnten.
»Bran! Stimmt etwas nicht?« Hagdar schrie, durch zwei Mann von ihm getrennt, zu ihm herüber.
Bran hob die Sense an und wandte sich wieder dem Getreide zu. »Nein!« Er nahm den Handgriff und schwang die Sense in einem Bogen durch die goldenen Halme. »Ich musste bloß einen Moment ausruhen!«
Er sah zur Seite und bemerkte, dass den Tirganern neben ihm nur noch ein paar Garben fehlten, bis sie das Ende des Feldes erreicht hatten, während er selbst vor sich hingeträumt hatte. Er konnte nichts dafür, er konnte scheinbar nur noch an sie denken.
»Heute Abend.« Er sprach leise mit sich selbst, holte tief Luft und mähte einen weiteren Streifen Korn. »Heute Abend werde ich mit Hagdar darüber sprechen.«
Jetzt begannen die Tirganer zu singen. Einige von ihnen hatten bereits das Ende des Feldes erreicht und waren dabei, die Halme zu großen Haufen aufzuschichten. Bran wusste, dass sie sich danach gesehnt hatten. Die Arbeit war vorüber, und jetzt durften sie bald tun, wozu sie eigentlich erschaffen worden waren. Denn er erinnerte sich, was sie ihm an diesem Morgen im Wald gesagt hatte. Wenn die Männer mit der Ernte fertig waren, sollten sie in den Krieg ziehen.
Der Sturm legte sich gegen Abend. Als Bran und seine Männer am Turm vorbei nach unten zum Lager gingen, schickte der Wind eine letzte Böe über die Stadt. Die Buden stürzten um, und die Händler rannten Tuchballen und Früchten hinterher, die über die Pflastersteine davonrollten. Dann legte sich der Bruder der Sonne, ruhte sich auf den Wellen aus und vermochte gerade noch, den Schaum von den mächtigen Wellen zu blasen, die gegen die Mole schlugen. Sie alle wussten, dass er sich nur ausruhte, um sie bei Sonnenaufgang mit neuem Sturmgeheul zu wecken.
Bran hatte gegessen, denn die Frauen hatten mit gekochtem Fisch gewartet, als die Männer zu den Zelten heruntergekommen waren. Velar und Nosser waren der Ansicht, es sei falsch, all das Essen zu verzehren, das die Tirganer ihnen gaben. Sie gäben es aus Gnade, meinten die zwei Männer, und es sei beschämend, das anzunehmen. Bran war niemals auf diesen Gedanken gekommen, und Velar fand auch bei den anderen keine Unterstützung. So stopften sie, hungrig nach einem weiteren anstrengenden Tag auf den Feldern, das Fischfleisch in sich hinein und ruhten sich aus, da das Korn endlich gemäht war.
Jetzt saß Bran neben Turvi. Der Alte hatte ihm zugewunken und ihn um Hilfe gebeten. Gemeinsam hatten sie nach den Booten gesehen. Bran hatte das Wasser herausgeöst, während der Alte ihm von den baumdicken Vertäuungsbolzen auf dem Kai zusah. Dann hatte er sich neben Turvi gesetzt. Sie hatten sich der Stadt zugewandt und gesehen, wie die mit Korn voll beladenen Wagen von den Feldern nach unten kamen.
»Weißt du noch, worüber wir gesprochen haben, bevor wir aufgebrochen sind?«, fragte Turvi. Er hob die Augenbrauen und kratzte mit seiner Krücke kreisförmig über die Steine.
Bran erinnerte sich, dass sie am Morgen nach Nojs Tod am Strand über die Götter gesprochen hatten. »Du hast von den Göttern gesprochen. Von Kragg und Berav.«
»Das stimmt.« Turvi richtete den Blick auf den Turm und den Weg davor, denn sie saßen so, dass sie zwischen den Buden hindurch bis ganz nach oben schauen konnten. »Ich habe über Kragg gesprochen und über Berav. Aber weißt du noch, was ich gesagt habe?«
Bran fasste sich an die Narbe am Hals. Er fühlte sich bei Turvis Fragen wie ein kleiner Junge.
Der Alte erwartete keine Antwort. »Ich habe gesagt, dass wir anders als viele andere Völker sind, die nur an einen Gott zu glauben vermögen. Ich habe gesagt, dass wir für eine Weile Beravs Volk sein sollten und dass Kragg das verstehen würde.«
»Wir
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