Brans Reise
sind jetzt Beravs Volk.« Bran hörte die Wellen hinter sich und die Taue, die an die Masten klatschten. »Wir sind das Volk des Meeres.«
Turvi nickte.
Eine Weile blieben die beiden sitzen und sahen zu, wie die Wagen langsam durch die Gassen nach unten rollten. Die Ochsen plagten sich unter ihrem Joch, denn die Wagen waren voller Leben. In regem Treiben wurde das neue Getreide von da nach dort geschafft und am breiten Turm ausgeladen.
»Jetzt sind sie glücklich«, sagte Bran und lächelte. »Das Korn wird der Stadt für den ganzen Winter Nahrung geben.« *
»Du magst dieses Volk.« Turvi klopfte ihm auf die Schulter. »Das ist verständlich. Sie geben uns Essen und lassen uns hier wohnen. Aber du bist Häuptling, Bran, und du darfst niemals vergessen, dass sie nicht wie wir sind.«
Bran spürte, wie sich seine Hände zu Fäusten ballten.
»Und deshalb habe ich dich gefragt, ob du dich erinnerst. Denn dieses Volk betet nur einen Gott an. Sie haben ihm den Namen Cernunnos gegeben, und er ist der Einzige für sie. Jetzt werden sie in den Krieg ziehen, und sie sagen, Cernunnos habe ihnen das befohlen. Aber ich sehe, wie reich sie sind, und ich frage mich, ob sie nicht auch noch andere Gründe haben, ihre Messer zu wetzen.«
Der Einbeinige bewegte seinen Kopf langsam von Seite zu Seite. Bran begriff nicht, worauf er hinauswollte, und so wartete er, bis der Alte mit der Kopfbewegung aufhörte.
»Wir sind niemals in den Krieg gezogen«, sagte Turvi schließlich. »Wir haben uns verteidigt, das stimmt, dafür ist mein Beinstumpf ein Beweis. Aber wir waren nie zahlreich, nie stark genug, um anderen ihr Land oder ihren Reichtum zu rauben. Das war nie unser Weg.«
Jetzt schlossen die Männer das Tor des Turmes, und die Wagen rollten wieder über die Gasse, um weitere Ladungen herbeizuschaffen. »Das alles hängt zusammen, verstehst du.« Turvi runzelte die Stirn und kratzte sich die Haare, die sein Gesicht wie der Pelz eines Bären umgaben. »Ein Volk, das nur einen Gott hat, wird immer das auserwählte Volk dieses Gottes sein. Was sind wir für sie? Doch nur ein paar wenige Herumstreifer weit aus dem Norden, die es hierher verschlagen hat. Noch sind wir glücklich hier, doch das wird nicht so bleiben.«
Bran stand auf. Ihm gefiel nicht, was Turvi sagte. Warum musste der alte Mann hier an diesem Ort ein Unglück vorhersagen?
»Diese Herbststürme werden viele Tage andauern. Dann…« Der Einbeinige stöhnte, als er sich an seiner Krücke hochzog. »Dann wird es Winter und unsere Boote frieren ein. Wir müssen uns darauf vorbereiten, hier den Schnee schmelzen zu sehen. Aber vergiss nicht, was ich dir gesagt habe, Bran. Wenn der Frühling kommt, müssen wir ziehen! Das ist Beravs Wille. Und Kraggs.«
Der Einbeinige wartete nicht auf Hilfe. Bran wandte sich von ihm ab und ließ ihn alleine davonhumpeln. Zum ersten Mal war er böse auf den alten, weisen Mann. Er hätte seine Grübeleien für sich behalten können, denn sie führten doch nur zuKummer. Die Krallen packten über dem Auge zu, doch er weigerte sich, sich dem Schmerz zu beugen. Der Wille der Götter… Alles, was geschieht, ist der Wille der Götter, das hatte ihn Turvi doch selbst gelehrt. Sie sind es, die Hass und Liebe in die Menschen einpflanzen. Er wusste, was Hass war, denn er hasste die Krallen, die ihn mit dem Schmerz heimsuchten. Aber dieses Neue, diese Wärme in der Brust, das war ein gutes Gefühl. Das war ein Gefühl, das ihm sagte, dass er hier in Tirga sein musste, hier bei Tir. Wie konnte Turvi da davon sprechen, fortzugehen?
Am gleichen Abend sprach er mit Hagdar darüber. Als Dielan und Gwen eingeschlafen waren, legte er sich die Decke über die Schultern und kroch nach draußen. Dann zählte er sich bis zum Zelt von Hagdar und Linvi vor.
»Bist du wach?«, flüsterte er. Niemand antwortete, und so versuchte er es noch einmal etwas lauter. »Hagdar, schläfst du?«
»Jetzt nicht mehr«, erklang es, und bald darauf tauchte ein bärtiger Kopf unter dem Fell vor der Tür auf.
»Nimm deine Pelzdecke mit«, sagte Bran, »ich muss mit dir reden.«
Hagdar verschwand wieder im Zelt. »Der Häuptling will mit mir sprechen«, flüsterte er. Linvi schien darauf nicht zu reagieren, jedenfalls konnte Bran nichts hören. Nach einer Weile krabbelte Hagdar wie ein Bär mit der Decke über dem Rücken nach draußen. Er rieb sich den Schlaf aus den Augen.
»Hoffentlich ist es wichtig«, brummte er.
»Das ist es.« Bran verschränkte die Beine
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