Brans Reise
Frau. Du bist schließlich ein Häuptling.«
Der große Mann blickte verträumt drein, doch Bran gefiel der Gedanke überhaupt nicht, diesem berüchtigten Visikal zu erzählen, was er für dessen Nichte empfand.
»Morgen wird ein großer Tag.« Hagdar zwinkerte Bran zu und warf die Decke in sein Zelt. »Es wird der Grundstein für das neue Häuptlingsgeschlecht gelegt!« Dann kroch er unter dem Fell vor dem Eingang des Zeltes hindurch und verschwand. Das darauf folgende Flüstern verriet Bran, dass seine Gefühle für Tir nun kein Geheimnis mehr waren.
Bran schlief in dieser Nacht nur wenig, denn er konnte keine Ruhe finden. Konvai wachte auf und schrie nach Gwen. Da zog er Hemd, Jacke und Hose an, die er von Tir bekommen hatte, schlüpfte in seine Stiefel und krabbelte nach draußen. Der Wind hatte noch nicht aufgefrischt, sondern spielte müde mit den Zeltplanen und zeichnete kleine Wellenbewegungen in den regennassen Stoff. Bran schlenderte zum Strand hinunter. Er wollte sich Gesicht und Hände waschen, damit er sauber war, wenn er Visikal gegenübertrat. Seit er im Lager lebte, war er oft über den Kiesstrand gelaufen. Das Land öffnete sich vor dem Zeltdorf zu einer Bucht und schirmte die Wellen vom Strand ab. Dies war ein guter Ort, um Schweiß und Schmutz abzuwaschen. Das Gras war zu einem Pfad niedergetrampelt, denn er war nicht der Einzige, der so dachte. Tagsüber badeten die Frauen hier die Kinder. Er selbst hatte Gwen beobachtet, die Konvai in die Wellen tauchte.
Er krempelte die Ärmel seines Hemds hoch und badete seine Hände im Wasser, bevor er sich das Gesicht wusch. Dann ging er wieder zurück zum Lager.
Turvi traf ihn an der Feuerstelle.
»Du warst gestern böse auf mich«, sagte der Einbeinige. »Jetzt verstehe ich, warum. Wie alle alten Männer schlafe ich schlecht und war wach, als du mit Hagdar gesprochen hast.«
»Du hast also alles gehört.« Bran warf einen Blick über die Zelte, um zu sehen, ob auch noch andere aufgestanden waren. Doch dann riss er sich zusammen. Jetzt durften es alle wissen. Er brauchte es nicht mehr geheim zu halten.
»Ja, und es erinnerte mich an jenen frühen Morgen oben in dem Garten. Ich hörte dich mit ihr sprechen. Denn das war doch Tir, nicht wahr?« Turvi lächelte und humpelte auf ihn zu. »Liebe ist eine gute Sache. Und früher oder später wirst du jemanden brauchen, der nach dir Häuptling werden kann.« Mit diesen Worten lehnte er sich auf seine Krücke und schrie, so laut es seine alte Stimme nur vermochte: »Wache auf, Volk von Bran! Vertreibt den Schlaf und tretet zu eurem Häuptling nach draußen. Denn er hat eine Frau gefunden, und sein Geschlecht wird zahllos sein!«
Bran sank in sich zusammen, als die Decken zur Seite geschlagen wurden und die bekannten Gesichter zum Vorschein kamen. Turvi hob die Hand über den Kopf und schrie weiter:
»Tir ist die Frau, die er erwählt hat, das ist die gleiche Frau, die er so heldenmütig gerettet hat! So zieht euch an und tretet heraus, Frauen und Männer. Denn das ist der Ursprung aller Lieder!«
Bran war klar, dass er nicht mehr weglaufen konnte. Also blieb er stehen, während sich die anderen um ihn scharten. Dielan bahnte sich, das Hemd nur halb angezogen, unter großem Eifer und Einsatz einen Weg durch die Menge, während Hagdar an seinem Zelt lehnte und lachte.
»Habe ich richtig gehört?« Dielan steckte seinen Arm in den anderen Ärmel. »Die Galuene? Aber warum… Wo ist sie?«
Bran bekam kein Wort über die Lippen, als die Fragen nur so auf ihn einprasselten. Er ließ Turvi antworten, etwas, was der Einbeinige mit großer Vollendung beherrschte. Schließlich verkündete er, es sei Zeit, nach oben zu marschieren und mit dem Skergen zu sprechen. Er winkte Dielan und Hagdar zu, ihm zu folgen. Dann gingen die drei Männer in Richtung Hafen, und Bran sah keinen anderen Ausweg, als mit ihnen zu gehen.
Als sie zum Hafen kamen, ließen sie Bran den Vortritt, und dieser erkannte, dass es so wohl auch am besten war. Er war der Häuptling, und er war es, der sie zur Frau haben wollte. Dielan, Turvi und Hagdar hinter sich wissend, hatte er keine Angst. Er würde Visikal in die Augen sehen, ob er nun berüchtigt war oder nicht, und dessen Nichte verlangen. Und der Skerg würde ihm das nicht verwehren können.
Bran ging hocherhobenen Hauptes mit langen Schritten durch die Straßen. Er dachte nicht an Dielan und Hagdar, die alles gaben, um Turvi im gleichen Tempo mitzuschleppen. Er hörte auch nicht
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