Brans Reise
das Schleifen und Schaben, das ihnen aus den schmalen Gassen entgegenhallte. Es waren die Geräusche aus Tirgas Schmieden, die ihre offenen Herde angefeuert hatten und damit beschäftigt waren, Tirgas Waffen für den Krieg zu rüsten. Überall in der Stadt leuchteten in dem grauen Morgenlicht die zahlreichen Werkstätten wie Glühwürmchen. Die Buden auf der breiten Straße zum Turm waren abgebaut worden, um Platz für große Stapel von Äxten und Schwertern zu schaffen, die geschliffen werden mussten. Dielan und Hagdar sahen in die engen Gassen und Werkstätten hinein, in der halb nackte Schmiede über ihren Blasebälgen schwitzten. Sie waren umgeben von Wänden, an denen Pfeilköcher, Speere und Langschwerter dicht an dicht standen, und auf dem Boden lagen wie nach einer Schlacht Berge von Helmen. Turvi bewegte den Kopf von einer Seite zur anderen und sprach mit sich selbst, doch weder Hagdar noch Dielan kümmerten sich ernsthaft darum. Denn dies war ein Reichtum, wie sie ihn niemals zuvor gesehen hatten.
Sie stiegen die Straßen der Oberstadt empor. Männer mit schweren Rüstungen und neu geschmiedeten Helmen kreuzten ihren Weg. Dann erreichten sie die Treppe, an deren Ende der Garten lag. Hier blieb Bran stehen, denn die Angst war wieder über ihn gekommen.
»Du kannst jetzt nicht umkehren.« Hagdar flüsterte ihm ins Ohr. »Denk doch nur, was die anderen sagen würden, wenn sie erführen, dass du dich nicht getraut hast!«
Bran warf einen Blick zwischen den Bäumen hindurch. Er hatte keine Angst vor dem Gerede, er hatte Angst davor, was Tir sagen würde. Auch wenn Visikal zustimmte, würde er sie nicht haben wollen, wenn das gegen ihren Willen war. Das taten vielleicht die Kretter, aber nicht er. Trotzdem verspürte er etwas, das größer und mächtiger als die Angst war, etwas, das seine Beine antrieb. Er watete durch den Bach, ging an der Bank vorbei und trat dann auf den Hofplatz. Turvi, Dielan und Hagdar folgten dicht hinter ihm.
Da knirschte eine Tür. Das Geräusch harter Ledersohlen auf Stein hallte an den Burgmauern wider. Ein Dutzend Krieger marschierte in voller Rüstung und mit Speeren bewaffnet auf den Hofplatz. Sie sahen ihn durch die schmalen Augenschlitze ihrer Helme an, ehe sie sich in zwei Reihen aufstellten und ihre Speerschäfte in den Boden stachen.
»Lass uns laufen«, sagte Dielan. »Sie werden uns angreifen.«
»Warte!« Turvi packte ihn am Ärmel. »Ich glaube nicht, dass wir der Grund für ihr Erscheinen sind.«
Wieder knirschte die Tür. Zwei Krieger schlenderten im Schatten des Vordaches entlang. Sie hatten ihre Helme unter den Arm geklemmt, und ihre Schwerter steckten in den Scheiden. Mit einem Mal blieben sie stehen. Einer von ihnen deutete auf sie.
»Das sind Vare und Ylmer.« Hagdar trat einen Schritt vor und grüßte mit flacher Hand. »Die zwei anderen Skerge. Sie sind uns wohlgesonnen.«
»Hagdar! Dielan und Turvi!« Die zwei Männer traten aus dem Schatten und kamen durch die Reihen der anderen Krieger auf sie zu. Beide trugen rote Umhänge und blank polierte Schulterklappen. Bran erkannte sofort, dass die beiden viele Winter trennten, denn der eine hatte einen weißen Bart und bewegte sich wie ein Bär im Herbst. Der andere war schmaler gebaut und hatte seinen Bart abrasiert.
»Was bringt euch hierher?« Der Mann mit dem weißen Bart führte das Wort. »Und wer begleitet euch da?«
»Wir sind heute das Gefolge unseres Häuptlings.« Turvi hinkte nach vorn und trat neben Bran. »Denn das ist Bran, für den die Galuene Tir gebetet hat.«
Die zwei Krieger verzogen keine Miene, grüßten ihn aber. »Es ist uns eine große Ehre, den Mann kennen zu lernen, von dem wir schon so viel gehört haben«, sagte der Bärtige.
Bran wusste nicht, was er antworten sollte, denn darauf war er nicht vorbereitet gewesen. Turvi jedoch hatte eine Antwort bereit:
»Unser Häuptling wünscht mit Visikal, dem dritten Skerg von Tirga, zu sprechen.« Er legte seine Hand auf Brans Schulter.
»Visikal ist im Saal.« Der Junge fasste sich an sein bartloses Gesicht. »Erwartet er euch?«
»Wir kommen ungebeten.« Turvis Stimme war fest und sicher. »Doch es heißt, Visikal sei ein Ehrenmann, und wir wissen, dass er Bran, der seine Nichte gerettet hat, empfangen wird.«
Der Bärtige schob seine Hände unter den Gürtel und sah den anderen an. »Beginne mit den Männern die Speerübungen. Ich begleite sie hinein.« Mit diesen Worten drehte er sich um und ging auf den überdachten Gang zu.
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