Brasilien: Ein Land der Zukunft
João VI., sich mit einem Handstreich Montevideos zu bemächtigen und Uruguay – allerdings nur vorübergehend – an Brasilien als cisalpinische Provinz anzuschließen. Die endgültige Form Brasiliens ist mit dem neunzehnten Jahrhundert soviel wie erreicht.
Diese Jahre der Gegenwart des königlichen Hofes bringen außer dem politischen dem Lande auch ungemeinen moralischen Gewinn. Seit die Jesuiten unter Pombal aus dem Lande vertrieben wurden, geschieht es zum ersten Mal, daß Portugiesen von kulturellem Rang, Gelehrte, Wissenschaftler sich in der Hauptstadt ansässig machen. In großzügigster Weise beruft der König außerdem Forscher und Maler aus Frankreich und Österreich, um Institute zu begründen oder zu erweitern. Erst von diesem Zeitpunkt an besitzen wir wirkliche Bilder und Darstellungen von Rio, wissenschaftliche Studien, lesbare Schilderungen. Das königliche Brasilien ist nun nicht mehr die einstige »terra do exílio« [das einstige Verbannungsland], seit es die »terra do refúgio« [das Land der Zuflucht] seines Königs geworden, und in wenigen Jahren wird es ein Gegenpol europäischer Zivilisation und die Stätte eines glanzvollen und hochgeachteten Hofes. Und nichts zeigt deutlicher die Weltstellung dieses neuen Landes, als daß der Kaiser von Österreich, nach Napoleons Fall der mächtigste Mann Europas, den Thronfolger dieses Reiches, Dom Pedro, nicht für zu gering hält, um ihm eine Schwester Maria Louisens, seine Tochter Leopoldine zu vermählen, die mit größten Festlichkeiten in Rio empfangen wird. Könnte König João seiner eigenen Neigung folgen, so bliebe er zeitlebens in dem neuen Land, dessen Schönheit und zukünftiger Wert ihm wie all den Seinen bald klar geworden ist. Aber das heimische Portugal verlangt, nun da Napoleon von seiner wüsten Insel St. Helena Europa nicht mehr beunruhigen kann, seinen angestammten König eifersüchtig zurück. João gerät in Gefahr, falls er dem immer gebieterischer werdenden Rufe nicht folgt, den Thron seiner Vorfahren zu verlieren. Lange zögert er den Abschied hinaus, aber schließlich geht es nicht länger: 1820 kehrt João VI. nach Lissabon zurück, nachdem er zuvor den Thronerben Dom Pedro zu seinem Stellvertreter in Brasilien ernannt.
König João VI. hat zwölf Jahre in Brasilien residiert, Zeit genug, um zu erkennen, wie stark, wie eigenwillig, wie national das Land mit dem neuen Jahrhundert geworden ist; im tiefsten Herzen vermag er sich der schlimmen Vorahnung nicht ganz zu erwehren, daß eine Personalunion zweier Länder über dreitausend Meilen Ozean auf die Dauer nicht haltbar sein wird. Aus dieser Erkenntnis gibt er seinem Sohn Dom Pedro, den er als »defensor perpétuo do Brasil« [als ewigen Verteidiger Brasiliens] eingesetzt hat, den Rat, im Notfall lieber selbst die Krone Brasiliens sich auf das Haupt zu setzen, ehe irgend ein fremder Abenteurer sie an sich reißt. Tatsächlich zeitigt die Abreise des Königs eine nationale Bewegung, welche die »independencia« [Unabhängigkeit] fordert, und die von dem Thronfolger eher gefördert als gehemmt wird. Nach scheinbarem Widerstand erklärt der junge Ehrgeizige am 7. September 1822, geführt von dem hervorragenden patriotischen Minister José Bonifácio de Andrada e Silva, dem ersten wirklich brasilianischen Staatsmann, der mit großer geistiger Überlegenheit den Ehrgeiz des Thronfolgers für seine patriotischen Ziele auszunützen weiß, die Unabhängigkeit Brasiliens; am 12. Oktober 1822 wird der bisherige »defensor perpétuo« als Pedro I. zum Kaiser von Brasilien proklamiert, nachdem er zuvor geschworen, nicht als autokratischer Herrscher, sondern als konstitutioneller Fürst das Land zu regieren. Nach kurzen Kämpfen teils mit treugebliebenen portugiesischen Truppen, teils mit revolutionären Bewegungen, wird die äußere Ruhe im Lande hergestellt; die innere freilich ist schwerer zu erringen. Das brasilianische Unabhängigkeitsgefühl, von den unerwartet raschen Erfolgen berauscht, will noch sichtbarere Triumphe. Auch diesen seinen ersten Kaiser empfindet es noch nicht als den eigenen, den eigentlichen, den wirklich brasilianischen; das Volk kann Pedro I. nicht verzeihen, daß er geborener Portugiese ist, und der Verdacht will nicht verstummen, er würde nach dem Tode seines Vaters versuchen, die beiden Kronen wieder zu vereinigen. Auch versteht Pedro I., mehr Romantiker als Realist, bravourös, aber allzuviel mit erotischen Privatangelegenheiten beschäftigt und den Hof
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