Brasilien: Ein Land der Zukunft
fünfzig oder hundert Sklaven hinzustellen, die in Holzschüsseln den Sand schwenkten und schwenkten und schwenkten und dann unten am Grunde jedesmal ein paar Unzen der vollwichtigen Körner blieben. Das Gold des Rio das Velhas war nur Schwemmgold gewesen, Oberflächengold und ist nun abgeschöpft. Um es aus den Tiefen des Berges zu holen, ist mühselige technische Arbeit vonnöten, der die Zeit und das Land noch nicht gewachsen ist. Und so kommt die Wendung: Vila Rica wird Vila Pobre, eine arme Stadt. Die Goldwäscher von gestern, verarmt und verbittert, ziehen ab mit ihren Maultieren und Eseln und Negern und ihrer kärglichen Habe, die Lehmhütten der Sklaven, zu Tausenden über die Hügel verstreut, werden weggeschwemmt vom Regen oder verfallen. Die Dragoner reiten weg, denn sie haben nichts mehr zu bewachen, die Casa de Fundição [die Schmelzhütte] hat nichts mehr zu schmelzen, der Gouverneur nicht mehr viel zu verwalten; selbst das Gefängnis bleibt leer, weil kaum mehr hier einer dem andern etwas zu rauben oder zu stehlen hat. Der Zyklus des Goldes hat ausgeschwungen.
Vierter Akt dann in zwei gleichzeitigen Szenen, die eine in Portugal, die andere in Brasilien. Die erste Szene spielt im königlichen Palast von Lissabon. Der Kronrat ist versammelt. Die Berichte der Tesouraria werden verlesen, und sie sind erschreckend. Immer weniger Gold aus Brasilien und immer größer die Schulden im Land. Die industriellen Compagnien, die Pombal gegründet, stehen vor dem Zusammenbruch, weil man sie nicht mehr finanzieren kann, der Wiederaufbau Lissabons, so energisch begonnen, ist gehemmt. Wo Geld schaffen, seit das Gold nicht mehr aus Brasilien strömt, und wie Ersatz dafür? Die Austreibung der Jesuiten, die angeordnete Konfiskation ihrer Güter hat nichts geholfen; nach dem ersten Traumreich der ›Lusiaden‹ ist nun auch das des ewigen Eldorados entschwunden. Tückisch wie immer hat das Gold nur Glückseligkeit versprochen und nicht gehalten. Und Portugal muß sich bescheiden, wieder zu werden, was es zuerst gewesen, ein kleines, stilles und eben um dieser stillen Schönheit willen liebenswertes Land.
Die andere, gleichzeitige Szene in Minas Gerais in vollkommenem Gegensatz: die Goldwäscher sind mit ihren Maultieren, Eseln, Sklaven und ihrer ganzen beweglichen Habe von der unwirtlichen Gebirgsgegend heruntergezogen und haben das fruchtbare Wiesenland entdeckt. Sie siedeln sich an, kleine Niederlassungen und Städte entstehen, den São Francisco entlang fahren die Schiffe, der Verkehr belebt sich, aus einem leeren unbewohnten, unbebauten Lande wird eine neue, tätige Provinz. Was für Portugal Verlust, wird für Brasilien Vorteil; für das entschwundene Gold hat es eine ungleich kostbarere Substanz gewonnen, ein neues Stück seiner Erde für tätige und fruchtbringende Arbeit.
Dieser Goldsturm nach Minas Gerais stellt in demographischer Hinsicht eigentlich die erste jener großen Innenimmigrationen dar, die für die nationale und wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens so entscheidend geworden sind. Ohne diese immer wiederholten Wanderungen im inneren Raum wäre das Phänomen unverständlich, daß ein Land von so ungeheurer Ausdehnung in einem solchen Maße national einheitlich geblieben ist, daß selbst die Sprache sich kaum in einzelne Dialekte umfärbte und vom Paraná hinauf bis zum Amazonas, vom Ozean bis in die fast unerreichbare Ferne von Goiás dieselben Sitten obwalten und trotz aller klimatischen und beruflichen Verschiedenheiten der Volkstypus ein einheitlicher geblieben ist. Wie in allen großräumigen Ländern hat hier der Ansiedler ein anderes Verhältnis zur Scholle wie der Bauer der engen europäischen Gemarkung, der völlig seinem Haus wie seinem Grund verhaftet ist. In Brasilien, wo die Erde im ganzen Hinterlande frei war und jeder sie nehmen konnte, wo er wollte und wie er wollte, ist der Mensch wanderlustig und unternehmungsbereit. Es ergab sich hier ganz natürlich, daß der Ansiedler, weniger traditionell gebunden als der europäische Bauer, leicht seinen Wohnsitz tauschte und jeder neuen Gelegenheit willig folgte, die sich ihm bot. So prägen die großen Umschaltungen in der brasilianischen Wirtschaft von einem Monopolprodukt zum andern, die sogenannten Zyklen der Produktion, sich auch als Wanderungen und Verschiebungen des siedlerischen Gleichgewichts aus, und man könnte in gewissem Sinne diese Zyklen ebenso wie nach den Produktionsobjekten nach den Städten und Landschaften benennen, die
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