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Brasilien: Ein Land der Zukunft

Brasilien: Ein Land der Zukunft

Titel: Brasilien: Ein Land der Zukunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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belgischen Compagnien eingerichtet und das neue Kaiserreich als Kolonie anonymer Gruppen aller Weltausbeutung ausgeliefert. In einer Zeit, wo der Rhythmus der Bewegung, die lebendige Durchpulsung des Raums mit schöpferischen Energien für die volkswirtschaftliche Entwicklung eines Landes entscheidend wird, ist Brasilien, das noch mit den alten Methoden und mit den alten Umsatzlangsamkeiten arbeitet, von einem vollkommenen Marasmus [Kräfteverfall] bedroht. Wieder einmal ist seine Wirtschaft bei einem Tiefpunkt angelangt.
    Aber es gehört zur Besonderheit seiner Entwicklung, daß dieses Land der unbegrenzten Möglichkeiten jede seiner Krisen immer wieder durch eine plötzliche Umstellung überwindet, indem es, sobald sein Hauptexportartikel versagt, sich einen neuen und noch ergiebigeren findet. Wie das siebzehnte Jahrhundert durch den Zucker, das achtzehnte durch das Gold und die Diamanten, so zeitigt auch das neunzehnte ein solches Wunder des unvermuteten Aufstiegs durch den Kaffee. Nach dem Zyklus des Zuckers, des weißen Goldes, dem Zyklus des wirklichen Goldes setzt mit dem Kaffee der Zyklus des braunen Goldes ein, der dann noch für kurze Zeit durch den Zyklus des flüssigen Goldes, des Gummis, abgelöst wird, und es ist ein Triumphzug ohnegleichen. Denn mit dem Kaffee erschafft sich während des ganzen neunzehnten Jahrhunderts und bis in das zwanzigste hinein Brasilien ein absolutes Weltmonopol: wieder sind es die alten und so typischen Faktoren, die Ergiebigkeit der Erde, die Leichtigkeit der Anpflanzung, die Primitivität des Produktionsprozesses, die diesen neuen Artikel gerade Brasilien besonders gemäß machen. Die Kaffeebohne kann nicht mit Maschinen gepflanzt, nicht von Maschinen geerntet werden. Hier allein leistet der Sklave noch mehr als das eiserne Schwungrad. Und abermals ist es wie beim Zucker, beim Kakao, beim Tabak ein Qualitätsartikel, der an die verfeinerten Geschmacksnerven appelliert – eigentlich das notwendige Komplementprodukt zu diesen beiden früheren, denn als köstlicher Nachtisch bilden diese drei, die Zigarre, der Zucker, der Kaffee das ideale Trifolium [das dreiblättrige »Kleeblatt«].
    Immer ist es seine Sonne und der Saft, die Kraft seiner Erde, die Brasilien retten. Was in der alten Heimat schon köstlich war, wird noch köstlicher auf dieser neuen Erde; nirgends gedeiht der Kaffee so üppig und mit solchem Aroma wie in dieser subtropischen Zone. Schon die früheren Jahrhunderte hatten diese Bohnen und ihre stimulierende Kraft gekannt. Aber wie der Kaffee 1730 ins Gebiet des Amazonas und 1762 nach Rio de Janeiro hinübergepflanzt wird, gilt er noch als Luxusartikel, und sein Absatz kann demgemäß für die Wirtschaft nicht entscheidend sein; in den statistischen Tabellen erscheint er zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts noch in den Quanten und wertmäßig weit hinter der Baumwolle, dem Leder, dem Kakao, dem Zucker und dem Tabak. Genau wie bei seinen älteren Brüdern, dem Tabak und dem Zucker, hilft erst die steigende, in immer breitere Schichten Europas und Nordamerikas eindringende Gewöhnung an dieses wundervolle Stimulans zu regerer Anpflanzung. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts beginnen Produktion und Absatz dann plötzlich in Fieberkurven anzusteigen, und Brasilien wird der Kaffeelieferant der ganzen Welt. Immer hastiger muß es seine Produktion erweitern, um dem Bedarf nachzukommen, Hundertausende und schließlich Millionen Arbeiter strömen in die Provinz São Paulo ein, die großen Häfen und Magazine von Santos werden ausgebaut, wo manchmal an einem einzigen Tage dreißig Frachtdampfer gefüllt mit Kaffeesäcken vor Anker liegen. Mit dem Export von Kaffee reguliert Brasilien für Jahrzehnte seine Wirtschaft, und welchen Wert dieser Export darstellt, zeigen die gigantischen Zahlen. Zwischen 1821 und 1900, in achtzig Jahren, liefert das Land für 270 Millionen und 835 000 englische Pfund, im ganzen bis heute für über zwei Milliarden englischer Pfunde; damit allein ist ein Großteil seiner Investitionen und seiner Einfuhr schon gedeckt. Aber anderseits wird durch diese Monopolproduktion Brasilien immer mehr von den Börsenpreisen abhängig und seine Währung an die Notierung des Kaffees verhängnisvoll gebunden; jeder Sturz der Kaffeepreise muß den Milreis mit sich reißen.
    Und dieser Sturz der Kaffeepreise erweist sich schließlich als unaufhaltsam. Die Pflanzer, von den leichten Absatzmöglichkeiten angelockt, erweitern ständig ihre

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