Brasilien: Ein Land der Zukunft
Wissenschaft das seit Jahrzehnten ersehnte Heilmittel schafft, so wird noch lange mit diesem gefährlichen Gegner zu rechnen sein, während die Syphilis hier trotz jahrhundertelanger Verbreitung an Intensität verloren hat und durch die Ehrlich-Therapie bald erledigt sein dürfte.
Der zweite Feind ist die Malaria, der Paludismo, an sich schon durch die klimatischen Umstände des Nordens beinahe bedingt und noch gemehrt durch den unvermuteten Einbruch der Anopheles Gambia [Malariamücke], von der einige Exemplare sich 1930 in dem Flugzeug von Dakar aus Afrika mit herüberschmuggelten und, wie im guten Sinne jede Frucht und jede Pflanze und jedes Tier und jeder Mensch, sich hier rasch heimisch gemacht und vermehrt haben.
Die dritte Krankheit im Bunde ist die Lepra, die, solange man eine Radikalkur für diese nicht kennt, nur durch Isolation eingedämmt werden kann. Alle diese Krankheiten verursachen, auch sofern sie nicht gerade tödlichen Ausgang zu verzeichnen haben, eine gewaltige Schwächung der Produktionsfähigkeit. Besonders im Norden ist die durch das Klima ohnehin schon herabgeminderte Leistung großenteils noch tief unter dem europäischen und nordamerikanischen Niveau, und wenn die statistische Tabelle vierzig bis fünfzig Millionen Einwohner verzeichnet, so entspricht die produktive Auswirkung dieser Ziffer nicht im entferntesten der Energieleistung einer gleichen Masse von Nordamerikanern, Japanern oder Europäern, die mit einer viel höheren Gesundheitsquote und unter besseren klimatischen Bedingungen zustandekommt. Eine erschreckend große Zahl von Menschen wirkt hier noch immer weder als Produzenten noch als Konsumenten im wirtschaftlichen Leben mit; die Statistik schätzt die Zahl der Leute ohne Beschäftigung oder ohne bestimmte Beschäftigung auf 25 Millionen, und ihr Standard ist besonders in den äquatorialen Zonen so tief, daß die Ernährungsverhältnisse manchmal schlechter sind als in der Sklavenzeit. Diese unerfaßbare Masse in den amazonischen Wäldern und in den Tiefen der Randprovinzen wirtschaftlich wie gesundheitlich in das staatliche Leben einzuordnen, ist eine der großen Aufgaben, die heute die Regierung schon dringlich beschäftigt und die zu ihrer endgültigen Lösung noch Jahrzehnte erfordern wird.
Es ist also der Mensch, sofern wir ihn als produktive Kraft betrachten, in Brasilien noch nicht im entferntesten ausgenützt, und ebensowenig ist es die Erde mit allen ihren oberirdischen und unterirdischen Reichtümern. Hier liegt die Schwierigkeit offen zutage (und nicht verborgen wie bei der Krankheit). Sie ist bedingt durch das noch immer nicht überwundene Mißverhältnis zwischen Raum, Bevölkerungszahl und Transport. Man darf sich nicht blenden lassen durch die vorbildliche Organisation und moderne Kultur in São Paulo, wo ein Haus an das andere sich reiht, die Wolkenkratzer in den Himmel klettern und die Automobile ständig im Wettlauf rennen. Zwei Stunden hinter der Küste verlieren sich die asphaltierten Musterstraßen in ziemlich zweifelhafte Chausseen, die nach einem der so häufigen tropischen Regengüsse für Tage unbefahrbar oder nur mit Ketten befahrbar sind, und es beginnt der »sertão« [der Urwald], die dunkle und noch lange nicht einer wirklichen Zivilisation gewonnene Zone. Jede Reise rechts und links von der Hauptstraße wird zum Abenteuer. Die Eisenbahnen reichen nicht tief genug in das Innere und sind mit ihren drei verschiedenen Spurweiten schlecht untereinander verbunden, außerdem so langsam und unpraktisch, daß man sowohl hinunter nach Porto Alegre wie hinauf nach Bahia und Belém viel rascher zu Schiff als mit diesen Bahnen kommt. Die großen Wasserläufe anderseits, wie der São Francisco oder Rio Doce, sind nur selten und unzulänglich beschifft und demzufolge große und wesentliche Teile des Landes – soweit nicht das Flugzeug hilft – eigentlich nur durch individuelle Expeditionen zu erreichen. Noch immer leidet also – medizinisch gesprochen – dieser gewaltige Körper an einer ständigen Zirkulationsstörung, der Blutdruck geht nicht gleichmäßig durch den ganzen Organismus, und wesentliche Partien des Landes sind im wirtschaftlichen Sinne völlig atrophisch. So liegen stumm und noch unausgenützt die kostbarsten Produkte unter der Erde, ohne der Industrie zu dienen. Man weiß heute genau, wo sie liegen, aber es hat keinen Sinn, sie zu schürfen, solange nicht die Möglichkeit besteht, sie abzutransportieren. Wo das Erz liegt, fehlt die
Weitere Kostenlose Bücher