Brasilien: Ein Land der Zukunft
Landes bedeutet, sondern die Erde und die Arbeit, die auf ihr geleistet wird. Wer aber besitzt noch mehr ungenutzte, unbewohnte, unausgewertete Erde als dieses Reich, das in sich allein soviel Raum hat wie die ganze alte Welt? Und Raum ist nicht nur bloße Materie. Raum ist auch seelische Kraft. Er erweitert den Blick und erweitert die Seele, er gibt dem Menschen, der ihn bewohnt und den er umhüllt, Mut und Vertrauen, sich vorwärts zu wagen; wo Raum ist, da ist nicht nur Zeit, sondern auch Zukunft. Und wer in diesem Lande lebt, spürt ihre Schwingen stark und beflügelnd über sich rauschen.
Blick auf die brasilianische Kultur
Seit vierhundert Jahren kocht und gärt in der ungeheuren Retorte dieses Landes, immer wieder umgeschüttelt und mit neuem Zusatz versehen, die menschliche Masse. Ist dieser Prozeß nun endgültig beendet, ist diese Millionenmasse schon Eigenform, Eigenstoff geworden, eine neue Substanz? Gibt es heute schon etwas, was man die brasilianische Rasse nennen kann, den brasilianischen Menschen, die brasilianische Seele? In Hinsicht auf die Rasse hat der genialste Kenner des brasilianischen Volkstums, Euclides da Cunha, längst die entscheidende Verneinung gegeben, indem er glatt erklärte: »Não há um tipo antropológico brasileiro«, »es gibt keine brasilianische Rasse«. Rasse, sofern man diesen dubiosen und heute überwerteten Begriff, der doch mehr oder minder nur einen Übersichtsbehelf darstellt, überhaupt verwerten will, meint tausendjährige Gemeinsamkeit von Blut und Geschichte, während bei einem richtigen Brasilianer alle im Unbewußten aus Urzeiten schlummernden Erinnerungen gleichzeitig träumen müssen von den Ahnenwelten dreier Kontinente, von europäischen Küsten, afrikanischen Krals und amerikanischem Urwald. Der Prozeß des zum Brasilianer Werdens ist nicht nur ein Assimilationsprozeß an das Klima, an die Natur, an die geistigen und räumlichen Bedingtheiten des Landes, sondern vor allem ein Transfusionsproblem. Denn die Mehrzahl der brasilianischen Bevölkerung – abgesehen von den spät Eingewanderten – stellt ein Mischprodukt dar, und zwar eines denkbar vielfältigster Art. Nicht genug an der dreifach verschiedenen Heimat, der europäischen, der afrikanischen, der amerikanischen, ist jede dieser drei Schichtungen in sich selbst wieder neuerdings geschichtet. Der europäische Erstling in diesem Lande, der Portugiese des sechzehnten Jahrhunderts, ist alles weniger als einrassig oder reinrassig; er stellt ein Gemenge dar aus iberischen, aus römischen, gotischen, phönizischen, jüdischen und maurischen Vorfahren. Die Urbevölkerung des Landes wiederum zerfällt in ganz artfremde Rassen, die Tupís und die Tapuyas. Und erst die Neger, aus wievielen Zonen des unübersehbaren Afrika waren sie zusammengetrieben! All das hat sich ständig gemischt, gekreuzt und außerdem noch erfrischt durch die Jahrhunderte. Aus allen Ländern Europas und schließlich mit den Japanern noch aus Asien hier herübergekommen, vervielfältigen und variieren sich diese Blutgruppen in unübersehbaren Kreuzungen und Überkreuzungen ununterbrochen im brasilianischen Raum. Alle Schattierungen, alle physiologischen und charakterologischen Nuancen sind hier zu finden; wer in Rio über die Straße geht, sieht in einer Stunde mehr eigenartig gemischte und eigentlich schon unbestimmbare Typen als sonst in einer anderen Stadt in einem Jahr. Selbst das Schachspiel mit seinen Millionen Kombinationen, von denen keine einzige sich wiederholt, scheint arm gegen dieses Chaos der Varianten, Kreuzungen und Überkreuzungen, in denen sich die unerschöpfliche Natur in vier Jahrhunderten hier gefallen hat.
Aber wenn beim Schachspiel auch keine Partie der anderen gleicht, so bleibt dieses Spiel doch immer Schach, weil eingeschlossen in den Rahmen desselben Raums und bestimmten Gesetzen unterworfen. Ebenso hat die Gebundenheit im selben Raum und damit die Anpassung an das gleiche klimatische Gesetz sowie der einheitliche Rahmen der Religion und der Sprache unter den brasilianischen Menschen bestimmte unverkennbare Ähnlichkeiten jenseits der Eigenheiten erzeugt, die von Jahrhundert zu Jahrhundert immer sichtbarer werden. Wie Kiesel in einem strömenden Fluß sich mehr und immer mehr abschleifen, je mehr und je länger sie gemeinsam rollen, so ist durch das Zusammenleben und die ständige Durchmischung innerhalb dieser Millionen die scharfe Eigenlinie des Ursprungs immer unmerkbarer geworden und gleichzeitig das
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