Brasilien
Himmel. Die o ffene Tür des Gasthauses, das sich Flor da Vida nannte, wies ihnen den einzigen Weg, der Zuflucht und Leben versprach. Als sie eintraten, verstummte die kleine Runde von Gästen, die sich im lauten Dialekt der Provinz unterhalten hatte, der herausgepreßt wurde, als solle er sich gegen einen unablässig wehenden Wind durchsetzen. Ein kleines Mädchen, dessen Gesicht so rund wie ein Teller und dessen Haar so straff zu Zöpfen geflochten war, daß es auf ihrem Kopf glänzte wie lackiert, kam schüchtern auf sie zu.
«Meine Frau und ich sind hungrig», sagte Tristão, der es selbst in diesem armseligen Rahmen als Ehre empfand, von Isabel als von seiner Frau zu sprechen. Ihm war, als wäre aus seinem Körper ein Ableger gesprossen, und so schwerfällig das resultierende Doppelwesen auch sein mochte, es verbreitete doch Ehrfurcht und besaß eine monströse Würde.
«Was hast du zu essen für uns?» erkundigte sich Isabel mit der Stimme einer erwachsenen Frau, die ernster war als die eines Mädchens und von einer freundlichen Bestimmtheit, mit der sie eine Antwort aus der verschüchterten Bedienung herauszulocken hoffte.
«Reis und schwarze Bohnen», brachte das Kind heraus. «Und farinha .»
«Und was gibt es sonst noch?» fragte Tristão.
«Herr, sonst gibt es nichts mehr», sagte das Mädchen und fügte nach kurzer Bedenkzeit hinzu: «Vielleicht haben wir noch etwas getrocknetes Ziegenfleisch.»
«Schon gut, das mögen wir sehr gern», sagte Isabel. Als die kleine Kellnerin durch eine knarzende Schwingtür neben dem Tresen verschwunden war, legte Isabel ihre weiße Hand über Tristãos Hand auf den rauhen Holztisch und sagte: «Wir sind in einer Welt gelandet, in der es nicht viel zu wünschen gibt.»
«Also verhungern oder trockenes Ziegenfleisch essen», erwiderte er mit einem bitteren Unterton.
Doch als das Essen auf fingerdicken Tellern serviert wurde, war es kochend heiß und überraschend schmackhaft. Selbst das faserige Ziegenfleisch zerging ihnen auf der Zunge. Während sie noch aßen, trat ein Mann zu ihnen an den Tisch – ein kleiner, massiger Bursche, dessen roter Bart sich kaum von seiner kupferroten Gesichtshaut abhob. Das Haar wuchs ihm hoch an den Wangen hinauf, und selbst an der Nase hatte er ein dichtes Büschel. Ohne lange zu fragen, hatte ihnen die kleine Bedienerin Wassergläser voller klarer pinga gebracht, und nun stellte der freundliche Fremde, ebenfalls ohne zu fragen, sein drittes Glas auf den Tisch. «Was führt euch nach Curva do Francês im Vorgebirge der Douradas?» Seine Worte klangen rauh, aber mit betonter Sorgfalt ausgesprochen, wie eine ländliche Schreinerkopie eines barocken Schnitzwerks.
«Hier ist die Endstation der Buslinie», sagte Tristão, während er, um sich sicher zu fühlen, nach dem kleinen, metallenen Rechteck unter dem Gürtel seiner Shorts tastete. «Wir hatten keine andere Wahl, mein Freund.»
Das Rotgesicht grinste mit schiefen und fauligen Zähnen. «Die Piste geht schon weiter, der Fahrer hat euch reingelegt. Er hat eine Frau in den Vororten, mit der er die Nacht verbringt. Die Straße geht noch meilenweit, das dürft ihr mir glauben.»
«Hier gibt es Vororte?» fragte Isabel, jetzt mit ihrer Mädchenstimme; sie ließ ein silbriges Lachen hören.
Das Rotgesicht heftete einen trüben Blick auf sie und sagte: «Die Vororte sind endlos. Früher haben zu dieser Pfarre einmal zwanzigtausend Seelen gehört, die Tupi- und Chacriabá-Indianer noch nicht mitgezählt.»
«Was ist geschehen?» fragte Tristão.
Unter den feuerroten Brauen des Mannes rollten die Augen, deren Weißes ins Rosa spielte, hin und her, als wolle er sicherstellen, daß kein Unberufener im Flor da Vida hören konnte, was er jetzt enthüllen würde: «Das Gold war erschöpft, in weniger als einem Jahrhundert.» Er machte eine bedeutungsschwangere Pause. Er trug eine Lederweste über einem Holzfällerhemd, beides von rötlicher Farbe, was dem Einsatz eines Färbemittels oder dem rötlichen Staub der Gegend zuzuschreiben sein mochte. «Aber Curva do Francês wird wieder eine Großstadt werden!» versicherte er ihnen. «Alle Pläne sind vorhanden. Ringförmige Prachtstraßen, symmetrische Parks, ein exquisites Spital in der Obhut der Jesuiten, ja, es ist sogar – die Senhora wird verzeihen, daß ich ihre Ohren damit belästige – ein eigener Bezirk für die Bordelle vorgesehen, mit diskreten Zugängen für die Kundschaft.» Die rollenden Augen ruhten unangenehm lange auf
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