Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta
die einen skandinavischen Führer wünschen, oder einen Dolmetscher.“
Pierre war sofort im Bilde; er wußte ja, daß ich Dänisch konnte. Es kostete nur eine Kleinigkeit an Diplomatie und mein allersüßestes Lächeln, und der Chef dankte gerührt, daß ich zwei Stunden meiner kostbaren Zeit opfern wollte, um unterwegs für die dänischen Damen den Dolmetscher zu spielen.
Ich fragte Pierre hinterher, was sein Chef gesagt hätte.
Er hatte gefragt, wer ich eigentlich sei. Pierre hatte erzählt, er kenne mich zwar nur flüchtig, aber er glaube, man könne es wagen, mich zu fragen.
Ich wurde natürlich nicht bezahlt, dafür machte ich aber die Rundfahrt mit, die ich mir brennend gewünscht hatte. Sie kostete zwanzig Francs, die ich ja nie hätte bezahlen können. Ich sah eine
Menge von Paris, was ich bisher noch nicht gesehen hatte. Und außerdem saß ich zwei Stunden lang an Pierres Seite.
Aber daß es so schwierig war zu übersetzen, hatte ich nie gedacht, obwohl ich Dänisch beinahe so gut wie meine Muttersprache beherrsche. Doch Pierre sprach langsam und mit Pausen, und ich horchte mit weit offenen Ohren. Im Bus waren lauter deutsche Touristen. Französisch wurde glücklicherweise nicht gesprochen. Ab und zu flüsterte Pierre:
„Britta, heißt es die oder das? heißt es Dom oder Kathedrale?“
Ich flüsterte ihm das richtige Wort ins Ohr. Er erzählte und zeigte, und ich übersetzte. Nach der Tour war ich todmüde, aber das war der Spaß schon wert gewesen. Das allerbeste war, daß die beiden Damen beim Aussteigen mir jede einen Franc in die Hand drückten.
Zwei Franc, das bedeutete eine Tüte warmer Kastanien und Brot für einen ganzen Tag.
Pierre und ich schwatzten in der Pause vor der nächsten Tour. Da er wieder fahren mußte, setzte ich mich auf eine Bank in den Schatten der Bäume und aß Kastanien. Ich hatte einen Bärenhunger. Ich glaube, ich schlief auch ein Weilchen, denn ich dachte, es sei nur eine knappe Stunde vergangen, und dabei war es drei Uhr geworden. Da kam der Bus zurück, und mit ihm Pierre.
„So, jetzt muß ich etwas zu essen haben“, sagte Pierre. „Komm, ich habe die gemütlichste kleine Eßecke, nur ein paar Minuten von hier entfernt. Gewöhnlich esse ich zwischen den beiden Touren, heut haben wir aber die ganze Pause verplaudert.“
Die Eßecke bestand aus einer Bank in einem kleinen Park, einer verschwiegenen kleinen Bank, die mit dem Rücken gegen einen Schuppen oder etwas Ähnliches stand. Jedenfalls war es friedlich und schattig. Hier aßen wir Pierres Wurstbrote. Er versicherte, daß er mehr als genug für uns beide hätte, und wir plauderten weiter. Wir hatten uns so schrecklich viel zu erzählen. Die Zeit war allzu kurz, aber jetzt war es ja nicht schlimm. Jetzt wußten wir, wo wir einander wiederfinden konnten. Wir wußten, daß ich jeden Tag Punkt neun auf dem Gehsteig vor dem Reisebüro „International“ aufkreuzen würde, und wenn das Schicksal freundlich sein wollte, uns ab und zu einige skandinavische Touristen zu schicken, dann konnten wir uns vorläufig nichts Besseres wünschen.
Von nun an fragte ich mich jeden Tag gespannt: Werde ich heute mitfahren können?
Ein paarmal klappte es, und jedesmal bekam ich Trinkgelder. Oh, wie war ich glücklich, wenn ich eine Touristenhand sich nach der Tasche bewegen sah. Wie glücklich, als eines Tages ein dicker, gemütlicher Kopenhagener mir ein Fünf-Franc-Stück in die Hand drückte. Allerdings hatte ich den Verdacht, daß er das französische Geld verwechselt hatte, er war ja die großen dänischen Zweikronenstücke gewöhnt. Jedenfalls verschafften die fünf Franc mir und den Katzen Essen für zwei Tage.
Aber jetzt mußte doch endlich Post von Vati kommen!
Sie kam auch. Eines Tages lagen zwei Briefe auf dem Fußboden, als ich nach Hause kam. Der eine war ganz kurz.
„Meine liebe Britta,
hast Du den Brief nicht bekommen, den ich Dir vor meiner Abreise schrieb? Ich komme heute nach Hause und finde Deine Karte. Hast Du demnach auch das Geld nicht abgeholt? Auf jeden Fall wiederhole ich: Du kannst von dem Büro von Latour fünfhundert Francs holen; die Sekretärin weiß Bescheid. Falls Du Schwierigkeiten mit der Sprache hast, muß Ellen für Dich reden. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, daß Du sie hast. Grüße sie aufs wärmste und danke ihr tausendmal für alles, was sie für mein Mädel tut. Schreib gleich ein paar Worte, wenn Du das Geld geholt hast. Mir geht es gut, ich habe sehr viel zu tun.
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