Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta
nicht, als eine fremde Stimme mir in gebrochenem Deutsch direkt ins Ohr sagte:
„Hübsche Juwelen hier in Paris, Fräulein, was wollen Sie für ein Halsband wie dieses hier geben?“
Ich drehte den Kopf. Das Gesicht, das zu der Stimme gehörte, war ausgesprochen unsympathisch. Was hatten Tante Birgit und Vati gesagt? Was hatte Ellen geschrieben? Und was hatte Tante Edda viele Male betont?
„Laß dich niemals mit Fremden ein! Wirst du auf der Straße angesprochen, so antworte kurz, scharf und abweisend. Kannst du nicht antworten, so drehe dich auf dem Absatz um und verschwinde. Gehe niemals allein am Abend auf die Straße!“
Auf französisch hätte ich sicher nicht kurz und abweisend antworten können, aber auf deutsch konnte ich!
„Ich trage nur echte Diamanten. Das letzte Dutzend warf ich heute in den Abfalleimer, weil sie staubig waren.“
Damit machte ich eine halbe Drehung und trabte schnell an den Prachtgeschäften vorbei, quer über den Vendöme-Platz und weiter, nur schnell, ohne mich umzusehen.
Als ich eine breite Straße gekreuzt hatte, blieb ich stehen, um mich zu orientieren. Nein so was! Ich stand direkt vor dem Eingang zu den Tuilerien. Schon wieder!
Ich konnte nicht anders, ich mußte hineingehen.
Da war Bijou; der große Graue war nicht da, er war wohl unterwegs. Ja richtig, da unten auf dem Weg führte der Alte den Grauen.
Ich mußte schnell hin zu Bijou, um ihr das Maul zu streicheln. „Kleine Bijou“, flüsterte ich auf deutsch, „wenn du nur reden könntest! Wenn du mir nur sagen könntest, wo Pierre ist.“
Ich glaube, Bijou erkannte mich. Sie rieb wieder ihren Kopf an meiner Schulter, und ich blieb stehen und streichelte ihr den weichen, warmen Hals.
Sollte ich es wagen, den alten Mann anzusprechen, sollte ich ihn fragen, ob er wisse.
Aber ich kam gar nicht dazu. Ich war so vertieft in das Wiedersehen mit Bijou, daß ich überhaupt nicht gemerkt hatte, wie der Graue zurückkam. Und dann sagte jemand: „Entschuldigen Sie, Mademoiselle, Sie sind doch nicht etwa Britta Dieters?“
Ich fühlte, wie mein Gesicht flammend rot wurde. Ich war so unsagbar froh! „Ja, Monsieur, die bin ich!“
Er kramte in seiner Tasche und holte einen zerknüllten Brief hervor. „Er hat so lange in meiner Tasche gelegen, Sie müssen entschuldigen.“
Ich sah den Brief an. Er trug die komischste Adresse, die ich je gesehen habe. „Britta Dieters, blond, schlank, 16 Jahre, kommt zur Frühstückszeit und streichelt Bijou, entweder blauer Pullover und lange Hose oder ein hellbraunes Kostüm, wahrscheinlich mit weißer Bluse, deutsch, versteht ein bißchen Französisch.“
„Ah, Monsieur, merci - mille merci - je suis si heureuse - “
„Ich fürchtete beinahe, daß Sie nie mehr kommen würden“, sagte der Alte. „Ich trage diesen Brief seit vierzehn Tagen in meiner Tasche. Au revoir, Mademoiselle, nehmen Sie Platz und lesen Sie den Brief, entschuldigen Sie mich, ich habe Kundschaft!“
Er blinzelte verschmitzt und hob eine Dreijährige mit wippendem Röckchen und Kniestrümpfen auf Bijou.
Mit klopfendem Herzen saß ich auf unserer Bank und war taub und blind für alles um mich herum.
„Liebe Britta!
Drei Tage sind vergangen, seit Du hier warst. Ich fange an zu befürchten, daß Dir etwas zugestoßen ist. Ich könnte mich selber ohrfeigen, weil ich nicht nach Deiner Adresse gefragt habe. Jetzt geht der Eseljob für mich zu Ende. Ich habe Glück gehabt und einen Posten als Führer in dem Reisebüro ,International’ bekommen. Ich soll Deutsche und Engländer führen. Es strömen im Augenblick solche Mengen nach Paris, daß die Büros mehr Leute einstellen müssen. Zum Glück ließ mich der alte Mann, dem das Eselsgeschäft gehört, gehen und übernahm selbst den Job. Jetzt hoffe ich nur inständig, daß Du wieder in den Park kommst und Bijou streichelst, damit Monsieur Coreille Dich sieht und Dir diesen Brief übergeben kann. Sei so gut und laß von Dir hören. Ich fand, daß wir uns so gut verstanden und daß wir gerade auf dem Weg waren, gute Freunde zu werden. Wollen wir die Freundschaft nicht fortsetzen? Du findest mich, wenn Du Wert darauf legst, mich zu finden, erstens einmal unter meiner Adresse, siehe unten, und zweitens, leichter und näher im Büro ,International’, täglich zwischen neun und halb zehn Uhr und zwischen zwölf und zwölf Uhr dreißig. Da stehe ich nämlich und zähle die Kunden für die ,sightseeing tour’ von einhalb zehn und zwölf Uhr dreißig. Stehe ich nicht
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