Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta

Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta

Titel: Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
Vom Netzwerk:
fährt ein Zug, den müssen wir unbedingt schaffen.“
    „Zug? Wohin?“
    „Nach Versailles selbstverständlich!“

Petit Trianon
    Wir saßen in der Ecke eines Abteils. Pierre hatte den Arm um meinen Nacken gelegt. Eine große Ruhe war über uns gekommen. Zum erstenmal waren wir zusammen, ohne daß uns etwas stören konnte. Zum erstenmal konnten wir lange miteinander sprechen, ohne unterbrochen zu werden. Jetzt erst bekam ich all das zu hören, was ich schon immer gern über Pierre gewußt hätte.
    Er war der einzige Sohn eines tüchtigen Handwerkers; der Vater war Feinmechaniker gewesen und vor fünf Jahren gestorben. Die Mutter hatte eine kleine Rente und machte Strickarbeiten, um ihr Einkommen etwas zu verbessern. Sie hatte sich eine Strickmaschine angeschafft. Pierre hatte sein Abitur gemacht und war danach ein Jahr in Darmstadt gewesen. Als der deutsche Student zurückkam, brachte Pierre es fertig, ein weiteres Semester auf seinem Zimmerchen zu bleiben, indem er sehr sparsam lebte und französischen Unterricht gab.
    Dann ging es nicht mehr, es wurde ihm zu teuer; er mußte zurück nach Paris. Er schaute sich nach irgendeiner Beschäftigung um, nahm die erste, die sich bot, und das war der gesegnete Job bei den Eseln. Mit allen Kräften sparte er, versagte sich jede unnötigen Einkauf; jeder Centime wurde für das Studium zurückgelegt. Als er den Job als Fremdenführer bekam, war er glücklich, und auf die Idee, sich einen Job als Nachtportier zu suchen, hatte ausgerechnet ich ihn gebracht.
    Natürlich war es ein einmaliger Glücksfall, daß er sofort etwas fand. Seine Sprachkenntnisse kamen ihm dabei zu Hilfe. Deutsch sprach er fließend, Englisch auch recht gut. Jetzt verdiente er tatsächlich tüchtig.
    So konnte er es wagen, nach Bremen zu gehen und seine Studien zu beginnen.
    „Kennst du zufällig jemanden in Bremen, der eine Hundehütte oder ein Kellerloch vermietet, so verrate es mir“, sagte Pierre. „Denn ich muß mich bemühen, die billigste Unterkunft ausfindig zu machen, die man in Bremen auftreiben kann, und am liebsten würde ich mit Französischunterricht bezahlen.“
    „Jawohl“, sagte ich. „An die Hundehütte werde ich denken, im Falle, daß ich von einem Hund höre, der Französisch lernen will.“
    „Du freches Mädel“, sagte Pierre. „Erzähl mir jetzt von dir, Britta, ich weiß von dir so gut wie nichts.“
    Ich erzählte vom Seehundsrücken, von Mutters Tod, von Omi und Tante Birgit, von den Winterstürmen und den Sommergästen und von unserem stillen ereignislosen Leben auf der Insel. Pierre lauschte mit lebendigen, interessierten Augen.
    „Ist es nicht merkwürdig!“ sagte er. „Du hast dein ganzes Leben in dieser Einsamkeit weit draußen in der Nordsee verbracht; und ich bin auf dem Pariser Asphalt groß geworden, und gerade uns führt das Schicksal zusammen.“
    Dann schwiegen wir beide. Pierre sah auf die Uhr und schaute auf die Namen der Stationen.
    „Wir haben noch ungefähr zwanzig Minuten“, sagte er, „du, Britta, erzähl mir doch von deinen Zukunftsplänen! Wie lange bleibst du noch in Colombes? Und nachher? Willst du ernstlich Stewardeß werden?“
    Vor dieser Frage hatte ich mich gefürchtet. Nun waren Pierre und ich uns so nahegekommen. Jetzt mußte ich ehrlich zu ihm sein.
    „Pierre“, sagte ich nach einer Weile, „ich muß jetzt beichten. Das mit der Stewardeß war nur ein Augenblickseinfall. Ich habe bisher keinen wirklichen Zukunftsplan gehabt, noch nicht einmal ein besonderes Interesse für irgend etwas. Ich sagte einfach Stewardeß, weil es so gut zu deinen Plänen paßte.“
    Ich machte eine Pause und beobachtete Pierre. Er horchte aufmerksam, dann drückte er meine Hand.
    „Siehst du, Pierre“, fuhr ich fort. „Ich möchte ganz aufrichtig zu dir sein, denn das verdienst du. Hoffentlich bist du nicht zu erschrocken über meine Oberflächlichkeit und Gedankenlosigkeit. “ „Erschrocken? Nein“, sagte Pierre. „Ich bewundere dich.“
    „Was tust du?“
    „Dich bewundern. Aus zwei Gründen. Erstens, weil du es fertig gebracht hast, diese ganze Zeit allein zu sein, ohne deinem Vater zu telegrafieren, daß du dich allein durchgeschlagen hast, sogar ohne in der Sprache sicher zu sein, ja, beinahe ohne sie überhaupt zu können. Dein Vater dürfte dir für den Rest seines Lebens dankbar sein.“
    „Du kennst Vati nicht“, seufzte ich. „Wenn er das erfährt, wird er hochgehen vor Wut, und mich höchstwahrscheinlich übers Knie legen.

Weitere Kostenlose Bücher