Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta
Vielleicht schließe ich mich in mein Zimmer ein und erzähle ihm alles durch das Schlüsselloch, damit er Zeit hat, sich zu beruhigen.“
Pierre lachte. „Ja, ja, ich kann es schon verstehen, wenn er im ersten Augebnlick wütend wird. Aber dann den zweiten Grund: Ich bewundere dich, weil du den Mut hast, mir dies alles zu sagen und frei zuzugeben, daß du oberflächlich und gedankenlos warst. Dazu gehört nämlich Mut, mehr Mut, als ein Verbrechen zu gestehen.“ „Aber Pierre, das mußte ich doch sagen. Ich kann doch nicht weiter mit dir Komödie spielen. Nein, weißt du, was ich wirklich bei erster Gelegenheit lernen will, ist der Haushalt. Von Grund auf und ordentlich. Wie schön wäre es gewesen, wenn ich ein bißchen mehr gekonnt hätte, als ich anfing, für Vati und mich zu sorgen. ach, du ahnst nicht, wie ungeschickt ich bin und wie nachlässig und wie unsystematisch. Oh, Pierre, ich hatte so viel Zeit über dies alles nachzudenken, seit Vati abgereist ist. Du ahnst gar nicht, über was ich alles nachgedacht habe, einfach deshalb, weil ich Ruhe hatte und keiner mich störte.
Und nun werde ich den Haushalt erlernen und Kinderpflege dazu. Wer weiß, vielleicht bilde ich mich zur Kinderpflegerin aus, denn ich liebe Kinder.“
„Das trifft sich großartig“, sagte Pierre, „das tu’ ich nämlich auch! Und wenn es an mir liegt, wirst du in der Zukunft sowohl Hauswirtschaft als Kinderpflege praktizieren müssen. Hallo, Britta, wir müssen uns beeilen, gleich sind wir in Versailles!“
Wir wanderten durch die Straßen von Versailles, und wie immer, machte ich große Augen. Es war Markttag, und auf dem Markt wimmelte es von Menschen und bunten Waren. Es gab Tische, auf denen die Blumen sich türmten, Blumen in atemberaubenden Mengen. Und daneben all die mannigfaltigen Dinge, die ich von den Markttagen in Colombes kannte. Natürlich gab es auch einen Stand mit Pfannkuchen.
„Wart ein bißchen, Pierre“, sagte ich. „In kurzer Zeit werden wir einen Bärenhunger haben. Magst du Pfannkuchen?“
„O ja, die lernte ich in Deutschland kennen.“
„Komm, wir kaufen ein Riesenpaket. Eine Bank, auf die wir uns zum Essen setzen können, finden wir sicherlich.“
„Ja, Britta, aber heute wollen wir doch auswärts essen.“
„Kommt nicht in Frage! Ich weiß zu gut, wie schrecklich teuer es in Restaurants ist. Denk an die Hundehütte in Bremen und an all deine Lehrbücher. Komm nur, wir kaufen Pfannkuchen.“
„Also gut“, sagte Pierre.
Ich durfte alles kaufen, was ich wollte, und er kaufte eine große Tüte voll Obst. Nun waren wir für einen Tag in Versailles gut ausgerüstet.
„Zwick mich mal am Arm, Pierre“, sagte ich.
„Am liebsten nicht, aber wenn du es absolut verlangst, so-“
„Ja, Pierre, es kann doch einfach nicht wahr sein. weißt du, vor zwei Jahren sah ich einen wunderschönen Film über Versailles, und nun stehe ich selber hier, stehe mit meinen beiden Beinen hier - “ „Mitten in der Weltgeschichte“, sagte Pierre.
„Ja, genau! Ich spaziere auf demselben Boden wie Ludwig XIV. Ich gehe durch dieselben Räume, durch die Königinnen und Prinzessinnen mit Krinolinen und weißen Perücken geschritten sind - ich kann gar nicht begreifen, daß es wahr ist.“
„Wenn alle Touristen es so genießen und verstehen würden wie du!“ sagte Pierre. „Manchmal ist es traurig, wie die Touristen durch Schlösser und Museen jagen und auf die Uhr sehen, damit sie ja das Frühstück nicht verpassen.“
„Ja, die haben eben keinen Vati, der sich auf Kunst versteht“, sagte ich. Ich erzählte Pierre, wie Vati sich hinsetzte und erzählte, ehe wir in ein Museum gingen. Wie er mir das alles einflößte, was diesen Ort berühmt gemacht hatte, wann und für welchen Zweck es gebaut worden war. Er schilderte mir die Hintergründe von allem. Manchmal steckte er mir ein Buch in die Hand und sagte, daß ich diese oder jene Seite durchlesen sollte, bevor wir weggingen.
Zuerst fand ich das langweilig, aber mit der Zeit begriff ich den Nutzen und war Vati herzlich dankbar.
Obwohl ich wußte, daß ich in Versailles unglaublich viel Schönes zu sehen bekommen würde, verschlug es mir einfach die Sprache! Die phantastischen Malereien, die ganze Wände füllten und die wichtige Begebenheiten aus Frankreichs Geschichte darstellten, die Skulpturen, die herrlichen Räume, die Spiegelgalerie, die Gobelins - es war für einmal fast zuviel.
„Ja“, nickte Pierre, „der erste Besuch in Versailles ist
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