Bratt, Berte - Marions gluecklicher Entschluss
lächelten uns zu und folgten so schnell wir konnten.
Zu Hause wurde das Paket auf den Eßtisch gelegt. Mit leichten, behutsamen Händen entfernte Vati das Papier, zwei Pappdeckel und zuletzt eine Stoffhülle. Eine Platte aus altem, schwarzem Holz kam zum Vorschein.
Vati hielt beinahe den Atem an, als er die Platte vorsichtig aufhob und zur Seite legte. Dann folgte noch eine Platte, und plötzlich lag ein dreigeteiltes Bild vor uns, ein Bild in matten, zarten Farben - oder vielmehr drei Bilder, drei Tafeln, mit Scharnieren aneinander befestigt.
»Das ist ja ein ganz altes Triptychon«, sagte Tante Edda. Das Wort Triptychon brachte mich zum Hochspringen. »Paps!« rief ich. »Ist es das aus der Kirche? Das verschwundene? Ist es die >Dreieinigkeit«
Paps stand ganz andächtig vor dem alten Kunstwerk. »Ja, Britta. Das ist es. Seit einhundertsieben Jahren hat es kein Auge mehr gesehen - bis heute.«
Am Mittagstisch erzählte Vati die Geschichte. »Vor einhundertsieben Jahren«, fing er an, »hatte der Seehundsrücken die furchtbarste Sturmflut, die man hier je erlebt hat. Das Wasser stieg so hoch, daß die Kirche bedroht war. Als es über die Schwelle flutete, kam der alte Pastor in einem Boot, sprang in die Kirche und rettete die paar Kostbarkeiten: das Kirchensilber, das Meßgewand und - das Triptychon. Er brachte die Sachen in Sicherheit, dann beteiligte er sich an den Rettungsarbeiten. In seinem Boot ruderte er Kinder und alte Leute zu dem einzigen sicheren Hof auf der Insel, dem Hügelhof. Ja, ganz recht, derselbe, der noch da auf dem Hügel liegt. Zusammen mit dem Hügelhofbauer kämpfte er sich zum Deich und zu den anderen Männern der Insel. Sie arbeiteten wie die Wilden, um das Wasser einzudämmen. In der Nacht aber wuchs der Sturm, das Wasser durchbrach den Deich. Sechs Menschen kamen ums Leben, unter ihnen die beiden - der Pastor und der Hügelhofbauer. Ja, das war die größte Flutkatastrophe, von der man hier gehört hat. In der Nacht hatte der blanke Hans viele Menschenleben auf dem Gewissen.«
»Was bedeutet eigentlich >der blanke Hans« fragte Bernadette. Ich erklärte ihr, daß es die Nordsee sei, die von den Küstenbewohnern so benannt wird.
Vati erzählte weiter und war dabei so eifrig, daß er beinahe nicht zum Essen kam:
»Nachher hat man auf dem Hügelhof das Silber und das Meßgewand gefunden und zur Kirche zurückgebracht. Das Triptychon aber war weg. Nach wochenlangem, vergeblichem Suchen kam man zu dem Resultat, daß es von der Flut mitgenommen worden sei.«
»Herr Dieters, was bedeutet eigentlich >Triptychon<«, fragte Marion. Es war Bernadette, die antwortete, und Vati konnte endlich einen Bissen in den Mund stecken.
»Das ist ein dreigeteiltes Bild, Marion. Wir haben es ja gerade gesehen. Drei Bilder, die an Scharnieren zusammenhängen und also zusammengelegt werden können. Drei Bilder, die zusammen ein Ganzes bilden.«
»Wie hier die Dreieinigkeit«, ergänzte ich.
Vati schob den Teller weg und erzählte weiter, erzählte, was er von seinem Großvater gehört hatte, von diesem herrlichen alten Triptychon aus dem Mittelalter, das von einem unbekannten Künstler gemalt worden war: »Als unsere Kirche vor ungefähr hundertfünfzig Jahren gebaut wurde, schenkte ihr der damalige Hügelhofbauer das Triptychon, das schon seit Generationen ein Familienbesitz gewesen war.«
Ich kannte ja die Geschichte. Ich war nur so wahnsinnig gespannt auf den zweiten Teil. Wieso war das schöne, kostbare Stück plötzlich aufgetaucht?
Der Hügelhofbauer war dabei, sein Haus umzubauen. Heute nun hatten die Leute angefangen, eine Ecke vom Dachboden abzureißen.
Dann war einer der Arbeiter mit einem flachen, verstaubten Paket in den Händen erschienen.
Drinnen in der Wand hatte es gelegen. Oder vielmehr gestanden. In ein Tuch gehüllt.
Hinrich, der Bauer, hatte große Augen gemacht, als er behutsam das Tuch entfernt und den Inhalt gesehen hatte. Dann war er zum Telefon gelaufen und hatte den Pastor und Vati angerufen.
In Windeseile waren die Gemeinderatsmitglieder geholt worden.
Andächtig und tief bewegt hatten sie sich das Kunstwerk angesehen und einstimmig Vati gebeten, das Triptychon zu reinigen und die notwendige Restauration auszuführen. Hinrich hatte sich gleich um die Versicherung gekümmert. Feuer, Diebstahl, Wasserschaden - aber wie hoch sollte es versichert werden?
Das war eine schwierige Frage. Denn das Werk konnte überhaupt nicht ersetzt werden. Was würde einem eine Geldsumme
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