Bratt, Berte - Marions gluecklicher Entschluss
zupfte Unkraut aus und stellte meine Rosen neben Vatis Strauß. Dann blieb ich stehen, meine Augen ruhten auf der weißen Marmortafel. »Ich glaube, deine Mutter war ein reizender Mensch«, sagte Tante Edda leise. »Das war sie, Tante Edda. Es war furchtbar, als sie starb. Ich dachte, ich würde nie in meinem Leben mehr glücklich werden. Aber die Zeit verging, Vati und Omi waren unsagbar lieb zu mir, und Vati und ich hatten ja einander. So lernten wir beide allmählich wieder zu lächeln, wieder fröhlich zu sein, und jetzt - ja, jetzt haben wir sogar gelernt, glücklich zu sein!« Tante Edda nickte.
»Wem sagst du das, Kind? Wie glaubst du, ist es mir ergangen, als ich mit dreiundzwanzig meinen Mann verlor? Aber das Leben geht weiter, der Alltag kommt mit seinen Ansprüchen, man muß arbeiten, man trifft neue Menschen - und eines Tages hat man das Lachen wieder erlernt. Das Glück von damals ist eine schöne, teure Erinnerung geworden - und bleibt es.«
Ich nahm die Gießkanne, holte Wasser und goß die Blumen auf den drei Gräbern: Muttis, Omis und Brüderchens. »Ja, Tante Edda, gehen wir?«
Tante Edda warf noch einen Blick auf Muttis Grab. Dann gingen wir. Vor dem Friedhof ist eine hübsche kleine Anlage mit Blumenbeeten und ein paar Bänken. Wir setzten uns.
Ich sah Tante Edda ein wenig von der Seite an. Wie blank waren ihre Augen, wie jung ihr Gesicht! »Du, Tante Edda?«
»Ja?«
»Ich habe eine Idee für dich. Eine Idee, die du bestimmt mal in einem Mädchenbuch verwenden kannst.«
»So, meinst du?«
»Ja, paß mal auf: Ich denke mir eine Heldin von - ja, vielleicht so an die Zwanzig. Ihre Mutter ist tot, und sie hat einen sehr netten Vater.«
»Bis jetzt kommt mir der Stoff bekannt vor«, lächelte Tante Edda. »Warte doch. Also sie liebt ihren Vater sehr und er sie. Eines Tages sieht sie aber, daß der Vater auch andere Interessen hat. Kurz und gut, er hat eine Frau liebgewonnen. Und der arme Vater, nun weiß er gar nicht, was er machen soll. Die Frau, die er liebt, weiß es auch nicht. Wie wird die Tochter reagieren, wenn der Vater erzählt, daß er wieder heiraten möchte? Deshalb überlegen sich die beiden immer: Wann sagen wir es ihr, wie sagen wir es? Wird sie es wohl als eine Art Betrug gegenüber der toten Mutter empfinden?«
»Ja, Britta, und wie empfindet es nun deine Heldin?«
Tante Edda sprach ganz leise.
»Oh, sie ist sehr vernünftig. Oder vielmehr, sie ist sehr glücklich. Sie gönnt dem Vater alles Gute, und außerdem weiß sie ja, daß sie selbst einmal heiraten wird, und wer sollte sich dann um den Vater kümmern? Aber das ist nicht das wichtigste. Sie kennt nämlich diese Frau, die der Vater liebgewonnen hat, sie kennt sie und hat sie ganz schrecklich lieb.«
Ich legte meine Hand auf Tante Eddas. Dann trafen sich unsere Blicke.
»Kleine Britta«, sagte Tante Edda leise. »Du hast mich sehr, sehr glücklich gemacht.«
»Siehst du, Tante Edda, dies wollte ich dir sagen, heute - und hier.
Ich spreche für mich, und ich spreche für meine tote Mutter. Auch sie hat Vati geliebt, und sie würde ihm von Herzen gönnen, daß er noch einmal glücklich wird.«
Wir blieben eine Weile sitzen, plauderten leise miteinander und waren beide glücklich, daß es nun ausgesprochen war.
»Aber eins, Tante Edda«, sagte ich. »Ich werde dich bestimmt nie Mutti nennen können! Du bist als Tante Edda in meinem Herzen fest verankert!«
»Ist nicht schlimm«, lächelte Tante Edda. »Wenn du mir bloß versprichst, daß deine Kinder mich Oma nennen werden!«
»Ach, guck, da geht Vati!« sagte ich. Wir betraten gerade unsere Straße. »Paps!« rief ich laut. »Vati, warte doch!«
Er drehte sich um, winkte mit der linken Hand. Im rechten Arm hielt er ein großes, viereckiges Paket. Jetzt kam er auf uns zu.
»Guten Morgen, Kinder! Kommt schnell, ich habe euch etwas zu erzählen!« Sein Gesicht strahlte. Selten hatte ich meinen Vater so überglücklich gesehen.
»Wir haben auch etwas zu erzählen, Benno«, sagte Tante Edda.
»Britta hat uns ihren töchterlichen Segen gegeben.«
»Was? Na, das ist ja großartig. Aber kommt erst schnell nach Hause, ich werde euch was zeigen - etwas, das ihr euch nicht habt träumen lassen!«
O mein Paps, mein unmöglicher Paps! Bestimmt hatte er irgendein Bild unter dem Arm, eines, das ihn restlos begeisterte, so sehr, daß ihm sogar die Einwilligung seiner Tochter zu seiner Heirat nebensächlich war.
Im Sturmschritt lief er nach Hause. Tante Edda und ich
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