Braut der Nacht
Schrotthaufens. Der Berg aus Metall neben mir gab ein leises quietschendes Geräusch von sich. Ein gedämpfter Fluch wehte von der anderen Seite zu mir herüber. Dann knirschte Schnee unter schweren Stiefeln.
Ich drückte mich tiefer in den Schatten, als der Shifter um die Ecke kam. Er marschierte an meinem Versteck vorbei, dabei verbarg er ein Metallrohr hinter dem Rücken. Gil war noch nicht wieder auf die Füße gekommen, und Bobby trat vor sie, um sie mit seinem Körper abzuschirmen, als der Stadt-Shifter ein paar Schritte vor ihnen stehen blieb.
»Verzieht euch von hier!«, brüllte er, das Rohr immer noch hinter dem Rücken versteckt.
Bobby runzelte die Stirn. Sein Blick glitt an dem Stadt-Shifter vorbei zu der Stelle, an der ich vorhin noch gestanden hatte, und dann herüber in den Schatten. Der stechende Geruch von Angst wehte zu mir herüber. Nicht von meinen Freunden. Von dem Stadt-Shifter. Er folgte Bobbys Blick und trat einen Schritt seitwärts, damit er ihn im Blickfeld behalten konnte, als er nervös in meine Richtung sah.
Ich hielt den Atem an und wurde so statuenhaft reglos, wie es nur ein Vampir konnte. Komm schon, Bobby, verrate ihm doch nicht meine Position!
Als hätte er meinen Gedanken gehört– was er, wie ich wusste, nicht getan haben konnte–, schnellte Bobbys Blick wieder zurück zu dem Stadt-Shifter, aber der Schaden war bereits angerichtet. Der Shifter war schon auf die Idee gekommen, dass sich noch jemand auf dem Schrottplatz befinden könnte. Gestaltwandler verfügten über ausgezeichnete Nachtsicht, aber anders als Vampire konnten sie in dunklen Schatten wie dem, in dem ich kauerte, nichts erkennen. Während er die Dunkelheit absuchte, erhaschte ich einen ersten klaren Blick auf das Gesicht des Shifters. Das Gefühl des Wiedererkennens traf mich mit voller Wucht.
Ich sah ihn durch Tylers Erinnerung. Der Stadt-Shifter lächelte. Jünger. Sauberer. Er reichte eine Zigarette weiter und machte eine witzige Bemerkung über irgendetwas. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, Tyler in die Tiefen meines Verstands zurückzudrängen, als geisterhafte Bilder sich vor mein inneres Auge schoben.
»Verzieh dich, du Klette. Das hier ist nichts für kleine Jungs.«
»Du kannst mich mal, Tyler. Danny ist auch nicht älter als ich.«
»Ja, aber du hast nicht den Mumm dafür.« Den hatte er einfach nicht. Das wusste ich. Den würde er nie haben. Und das würde ich ihm auch beweisen. »Also gut. Dann komm mit. Wir werden ein bisschen Spaß haben. Siehst du die Braut da drüben? Die mit den komischen Strähnen …«
Mein eigenes Bild in der Erinnerung zu sehen, riss mich jäh wieder zurück in die Gegenwart. Ich hatte Teile dieser Erinnerung schon einmal durchlebt, aber noch nie die Sekunden, bevor Tyler auf mich zeigte. Bevor er mich zur Zielscheibe gemacht hatte.
So versunken in Tylers Erinnerungen war ich einige Sekunden lang abgelenkt gewesen, und der Stadt-Shifter hatte das Rohr hervorgeholt. Knurrend schlug er sich damit in die Handfläche. Das Rohr zerbrach in einem Regen aus roten Rostflocken. Geräuschlos schlich ich aus meinem Versteck.
»Wir, äh…«, stammelte Bobby, aber der Shifter hob das abgebrochene Rohr und fiel ihm ins Wort.
»Ist mir egal, was ihr hier treibt. Verschwindet! Und zwar sofort!« Er machte einen Satz nach vorn, aber Bobby sprang zur Seite und zog Gil mit sich. Ein verrücktes Lachen sprudelte aus der Kehle des Stadt-Shifters. »Zu spät. Zu spät.«
Er schwang das Rohr in weitem Bogen und rannte auf sie zu. Gils Hände flogen hoch, und ein violetter Nebel erfüllte die Luft vor ihr und Bobby. Ihre magische Barriere. Die halb durchscheinende Mauer verdichtete sich und schottete sie von dem Stadt-Shifter ab. Er rannte dagegen und prallte davon ab, woraufhin sich ein Lächeln auf Gils Gesicht ausbreitete.
Ein verfrühtes Lächeln. Ich spürte, wie das Kribbeln von Magie in der Luft anschwoll.
Dann explodierte die Barriere.
Drei Körper flogen in verschiedene Richtungen, zusammen mit einem Regen aus Schnee und Ersatzteilen. Ich sprang aus dem Schatten, ohne auf die Schneeklumpen und rostigen Metalltrümmer zu achten, die auf mich herunterregneten. Bobby und der Stadt-Shifter kamen wieder auf die Füße und starrten einander an. Gil brauchte etwas länger.
Mein Kleid raschelte, als ich nach vorn trat, und Bobbys Blick flog zu mir. Ich schüttelte den Kopf und beschwor ihn stumm wegzusehen. Zu spät.
Der Stadt-Shifter schaute über die Schulter, nicht
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