Braut der Nacht
willentlich, sondern in einer Art Reflex, und entdeckte mich. Der Gestank nach Angst strömte von ihm aus, als er herumwirbelte. Er hatte immer noch das Rohr in der Hand und holte damit aus.
Na großartig.
Ich versteckte meine deformierten Hände in den Rockfalten.
»Lass das Rohr fallen«, befahl ich mit so ruhiger Stimme wie möglich. Er dachte nicht daran. Da tauchte ein Name aus den Tiefen hervor, in die ich Tylers Erinnerungen verdrängte, also benutzte ich ihn. »Steven, lass das Rohr fallen.«
Als der Shifter seinen Namen hörte, zuckte er zusammen und bremste den Schwung des Rohrs ab, hielt die Waffe aber weiterhin umklammert. Nervös kaute er auf seiner Unterlippe, die aufgesprungen und rau aussah, als wäre es seine Gewohnheit, darauf herumzukauen. Als er mich ansah, riss er die Augen auf, dass das Weiße seine geweiteten Pupillen überstrahlte.
»O Gott, du bist es!«, stieß er hervor und wich zurück, bis er mit dem Rücken an einen verschrotteten Geländewagen stieß.
Das Rohr glitt ihm aus den Fingern. Er sank neben ihm zu Boden und tastete blindlings danach, den Blick unverwandt auf mich geheftet. »Du bist es.«
Bobby trat das Rohr aus seiner Reichweite, doch Steven bemerkte es nicht einmal. Er starrte mich einfach nur weiter an. Als ich näher kam, fuhr er sich nervös mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen, und etwas anderes– etwas zu Verzweifeltes, um Hoffnung zu sein– mischte sich unter die Angst in seinem Blick.
»Bitte, nimm ihn zurück!« Die Worte waren kaum zu hören, als er sich auf den Boden warf und zu meinen Füßen im aufgewühlten Schnee kroch. »Ich schwöre, ich werde es nie wieder tun! Bitte nimm den Fluch wieder zurück!«
Bobby blickte von dem bäuchlings ausgestreckten Shifter zu mir. Ich hatte Nathanial einmal um genau dasselbe angefleht– den Fluch wieder zurückzunehmen. Zwar hatte ich damit das Dasein als Vampir gemeint, aber es war dieselbe Bitte. Mach mich wieder zu dem, was ich war.
Doch das konnte ich nicht. Ebenso wenig, wie Nathanial es konnte. Steven war jetzt ein Gestaltwandler. Aber ist er auch ein geistig gesunder Gestaltwandler?
Ich starrte den Mann an, der da vor mir kauerte. Haar, das in sauberem Zustand hellbraun gewesen wäre, hing ihm in schweren, verfilzten Strähnen fast bis auf die Schultern. Ein leichter, rauer Bartschatten überzog sein Kinn– nicht dicht genug, um sich Bart nennen zu können. Beides war in Tylers Erinnerung nicht so gewesen. Ich runzelte die Stirn. Er wäre nicht verwahrlost, wenn er sich verwandelt hätte.
Ich legte den Kopf zurück und sog witternd die Luft ein. Es bestand kein Zweifel. Er war gezeichnet worden. Aber er verwandelt sich nicht? Wie viele Tage ohne Verwandlung waren nötig, damit ein Shifter so schmutzig wurde?
»Steh auf, Klette«, sagte ich. Dann zuckte ich zusammen, als mir bewusst wurde, dass ich Tylers höhnischen Spitznamen für ihn verwendet hatte, ohne es zu wollen.
Er fuhr bei dem Namen ebenfalls so heftig zusammen, dass seine Schultern beinahe die Ohren berührten. Ein leichtes Zittern schüttelte ihn, aber er rappelte sich vom Boden hoch und stand auf. Diesmal hielt er den Blick gesenkt.
Eindringlich musterte ich sein Gesicht auf der Suche nach Anzeichen für Wahnsinn. Und wie genau sehen die aus? Steven sah einfach nur ängstlich aus. Müde. Und jung. Viel zu jung.
»Es ist kein Fluch«, sagte ich schließlich. »Du wirst ein Gestaltwandler bleiben, bis du stirbst.«
Was nicht durch meine Hand geschehen würde, wenn ich in der Angelegenheit etwas zu sagen hatte. Ich würde ihn mit Bobby nach Firth schicken. Einer der Clans würde ihn hoffentlich aufnehmen. Ihm beibringen, wie man ein Gestaltwandler war. Wie man die neue Tierseele annahm, die sich nun den Körper mit ihm teilte.
Da blickte er hoch, und seine grünen Augen weiteten sich. »Nein«, flüsterte er. »Nein. Du musst es zurücknehmen! Du musst einfach! Du weißt nicht, wozu es mich gezwungen hat!«
Bobby knurrte und spuckte in den Schnee. »Dein Tier zwingt dich zu überhaupt nichts.«
Steven krümmte sich wieder, und ich warf Bobby einen missbilligenden Blick zu. Noch vor einem Monat hätte ich ihm von Herzen beigepflichtet, aber jetzt war ich im Besitz der Erinnerungen von ein paar gezeichneten Shiftern. Ich wusste durch diese Erinnerungen, dass der menschliche Verstand während der ersten Verwandlung zu verwirrt war, um die Instinkte des Tiers zu bändigen. Menschen, die absichtlich gezeichnet wurden, wurden durch
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