Braut der Schatten
Jahrhunderten, wenn es so lange dauern sollte. Also vielleicht ein Jahr in dieser Zeit.« Er zwang sich zu lächeln. »Wünsch mir Glück, Freundin.«
»Viel Glück, Cas«, flüsterte sie schniefend.
Er drückte ihr einen langen, warmen Kuss auf die Stirn und verschwand.
Caspion wagte sich in die Hölle, um sein Leben zum wiederholten Mal aufs Spiel zu setzen. Und das nur wegen Dakiano, dem zurückhaltenden, geduldigen Vampir, der sich in einen Wahnsinnigen verwandelt hatte.
Auch wenn sie damit gerechnet hatte, dass Cas fortgehen würde, schmerzte es dennoch. Jetzt war sie ganz allein.
Allein auf dem Balkon, so hoch oben – in der Dunkelheit? Mit einem mangelhaften Barrierezauber?
Sie zuckte mit den Achseln und schenkte sich erneut ein. Seit Dakiano fort war, hatte sie weiter daran gearbeitet, ihre Furcht zu überwinden. Sie forderte sich selbst ständig heraus, sodass ihre Ängste immer weniger Macht über sie besaßen. Außerdem glaubte sie inzwischen wahrhaftig daran, dass sie sie irgendwann völlig besiegen würde.
Am Ende war es wohl tatsächlich so, dass die wahre Größe in ihrem Inneren lag. Aber es spielte auch noch etwas anderes eine Rolle: Sie war viel zu unglücklich, um etwas anderes als Trauer zu spüren – und am wenigsten Angst.
Trehan Dakiano hatte ihr das Herz gebrochen, als er sie zurückgelassen hatte, um ein Leben ohne sie zu führen. Seit dieser Stunde interessierte es sie nicht länger, was mit ihr passierte.
Ja, heutzutage bekam Königin Bettina alles, was sie wollte – bis auf das, was sie sich am meisten wünschte.
Meinen Vampir.
45
Trehan saß mit einem Buch in der Hand in seinem Lieblingssessel, aber er konnte nicht lesen.
Also starrte er in die Flammen.
Genau wie früher fand er an nichts Vergnügen. Er war ein Schatten mit einer trägen, öden Existenz. Im Laufe der letzten Wochen hatte sich sein Schmerz als derartig hartnäckig und beherrschend erwiesen, dass Trehan in eine Art gefühllose Starre verfallen war.
Für seine Verdienste bei der Rettung von Lothaires Leben war Trehan die Rückkehr nach Dakien erlaubt worden. Vielleicht hätte er sich gar nicht darum bemühen sollen. Weit weg von Bettina hatte sein Geist noch weiteren Schaden genommen: Seine Konzentrationsfähigkeit war gleich null, Vernunft und Logik glänzten durch Abwesenheit. Doch sein Körper hatte sich nach und nach erholt, und er sehnte sich ohne Unterlass nach ihr.
Wie schon zuvor flüsterten die Dakier hinter seinem Rücken über ihn. Alle wussten, dass er das Reich verlassen und seine anderländische Braut gefunden hatte – und dass er schließlich zurückgekehrt war, weil sie ihn auf irgendeine Weise hintergangen hatte.
Gerüchten zufolge war er jetzt noch schattenhafter als je zuvor. Und damit hatten sie recht. Mit allem.
»Nimm dir eine andere Frau«, hatte Viktor ihm geraten, was nur bestätigte, dass er noch nicht erweckt worden war. Schließlich hätte er sonst gewusst, wie lächerlich das klang.
Bettina hatte Trehan zu Erfahrungen verholfen, die er sonst niemals gemacht hätte. Sie hatte ihm das Leben selbst geschenkt. Sein Körper gehörte ihr. Seine Saat gehörte ihr. Er könnte beides niemals einer anderen Frau schenken.
Nun saß er also alleine da, mit einem Buch im Schoß, und starrte in die Flammen …
»Gute Abenddämmerung, Onkel«, sagte Kosmina, als sie sich in sein Wohnzimmer translozierte. »Ich bringe dir eine Botschaft von Lothaire.«
Dem neu gekrönten und komplett gestörten König von Dakien.
Wie sich herausgestellt hatte, war Lothaire ein gnadenloser Diktator, der zu Wutanfällen neigte und immer wieder zwischen Perioden des Wahnsinns und der Klarheit schwankte, auch wenn Letztere zugenommen hatte, nachdem er sich mit seiner Braut versöhnt hatte. In der Tat war sie es gewesen, die Lothaire beinah enthauptet hätte, wenn auch
versehentlich
.
Es hatte Wochen gedauert, ehe Lothaire dies erkennen konnte. Vor dieser Erkenntnis und während der Trennung von seiner Braut hatte er sich mit all seinen Cousins angelegt, Trehan eingeschlossen.
Auf dem Höhepunkt dieser verrückten Zeit hatte Lothaire sich mit den eigenen Klauen das Herz aus der Brust gerissen und es Elizabeth in einer Schachtel geschickt.
Trehan legte das Buch beiseite und erhob sich. »Was will er denn jetzt schon wieder?«
Von allen Cousins war es Trehan, der Lothaire am besten verstand –
weil ich selbst am Rande des Wahnsinns balanciere
. Kosmina jedoch empfand die größte Zuneigung für Lothaire.
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