Brautflug
und Kuchen vorbei und blieb kurz, um zuzuhören. Sie sind so viel freier als wir, sagte sie zu Frank. Dann schwoll ihr Herz an wie ein Geburtstagsballon und erhob sich feierlich in die Lüfte. In diesen Momenten war sie glücklich.
Jetzt steht sie mit geschlossen Augen am Sarg und bittet Frank um Vergebung. Nicht den Frank in ihrem Kopf, der sich in all den Jahren nie verändert hat, sondern den echten Frank, der ohne sie weitergelebt hat, der ohne sie alt geworden und gestorben ist. Sie spürt die Wärme des Kieselsteins in ihrer Hand. Vergib mir, sagt sie, vergib mir meine Schwäche. Dann öffnet sie die Augen und geht weiter.
Zusammen mit ihm, so wie immer.
Hinter Ada nimmt Esther die Schaufel in die Hand. Während sie in der Reihe weitergelaufen ist, hat sie die Augen nicht von Bob und Hannah lassen können. Der Sarg ist nun fast ganz mit Erde bedeckt. Sie stützt sich auf die Schaufel und senkt den Kopf. Mach’s gut, Junge. Du solltest sie hier mal sehen, unseren Sohn und unsere Enkeltochter. Was für Menschen. Und wir haben anscheinend noch zwei Enkel. Bitte vergib mir. Ich habe für dich entschieden, ohne dich um Rat zu fragen. Ich habe mich von meiner eigenen Panik mitreißen lassen. Du weißt, was ich meine.
Sie schliefen noch ein paar Mal miteinander. Doch obwohl sie einander mochten und beide nach Trost suchten, fühlten sie sich nicht wirklich wohl dabei. Während sich ihre Körper berührten, wichen ihre Blicke einander aus. Er sehnte sich nach Ada, das wusste sie. Seine physische Anwesenheit verwirrte sie. Sie hatten zusammen ein Kind, von dem er nichts wusste. Und das hatte sie für ihn entschieden. Es führte dazu, dass sie – gegen ihr eigenes Verlangen – den Kontakt mit ihm auf ein Minimum reduzierte. Das, und die Angst davor, jemals in die Versuchung zu geraten, ihm alles zu erzählen. So ein Weinberg ist nichts für mich, verkündete sie und stürzte sich ganz in die Arbeit in der Lady Esther Boutique. In diesen Salon kriegen mich keine zehn Pferde mehr hinein, scherzte er und widmete sich seinem Traubenblut Estate. Stress, Stress, immer nur Stress, riefen sie sich einander am Telefon zu.
Als sich alle Füße am Grab vorbeigeschoben haben, schwärmt die Gesellschaft über den ganzen Friedhof aus. Weinhändler und Geschäftsinhaber. Restaurantbesitzer aus der Gegend, in der Traubenblut ausgeschenkt wird. Die Ober des Hotels in Martinborough. Nicht alle kennen sich, doch am heutigen Tag verbindet sie alle dieser Abschied. Dieselbe sanfte Brise trocknet ihnen allen die Tränen. Vorsichtig werden die ersten kleinen Scherze gemacht. Kris tippt den Leuten auf die Schulter und lädt alle auf ein Glas Pinot Noir ins Restaurant des Weingutes ein. Während die Sonne schon tiefer steht und alles in rotgoldene Glut taucht, spaziert die Gesellschaft in unterschiedlichen Konstellationen durch die Felder in Richtung der silbernen Tanks, die überall aufragen.
»Ich mache immer noch alles selbst«, sagt Esther und entfaltet für Hanna den Prospekt von Cahn Couture, »Beratung, Skizzen, Styling, Entwürfe, sieh dir nur meine Augenringe an.« Sie hat die Broschüre auf dem Höhepunkt ihres Ruhmes drucken lassen, irgendwann Mitte der Siebzigerjahre, als Scheichs aus Saudi-Arabien ihre Frauen für ein Abendkleid von Lady Esther nach Neuseeland einfliegen ließen und sie selbst regelmäßig in Beverly Hills zu Gast war. »Siehst du, wie raffiniert das ist? Die verschiedenen Lagen, alle schräg angeschnitten, dadurch wirkt es so komplex.« Die ruhmreichen Jahre – lange vor dem Streit mit Rits, der das Tagesgeschehen bei Lady Esther leitete und jahrzehntelang seine hinterhältigen Machenschaften mit den Geschäftsunterlagen trieb, für die sie sich selbst für zu feinsinnig hielt. Noch bis in die Neunzigerjahre hatte sie mit Anwälten, Papierkram und einem Magengeschwür zu schaffen gehabt, doch irgendwann hatte sie einen Strich daruntergesetzt und den Verlust akzeptiert. Lady Esther Boutique war nun tatsächlich ganz auf ihn überschrieben. Ihr aufgebautes Kapital ebenfalls. Sie zog nach Auckland. Der Laden in Wellington bestand noch, wenn auch unter anderem Namen. Ihr Talent hat er nicht stehlen können, doch finanziell ist sie nie darüber hinweggekommen und wird bis zu ihrem Tod weiterarbeiten müssen.
Doch das hatte sie ohnehin vor.
»Anyway«, sagt Esther, denn sie sieht in den Augen des Mädchens, dass die Mode in dem Prospekt hoffnungslos veraltet ist und nicht mehr interessant für die jungen
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