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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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hängenden Schultern in die Schule, wo er niemanden verstand und schräg angesehen wurde. Er wusste nichts mit sich anzufangen, und vom Drinnensitzen wurde er störrisch und unleidlich. Zum ersten Mal in ihrem Leben geriet Marjorie mit ihm aneinander. Wenn sie sich abends im Bett darüber beschwerte, erwiderte Hans eiskalt, dass es ihre eigene Schuld war. Doch sie hielt hartnäckig daran fest, dass ihre Entscheidung richtig gewesen sei. Mit Esther in der Nähe sei ihr Leben nicht mehr sicher gewesen. Dann schüttelte Hans den Kopf. Du bist wie dein Vater, sagte er, alles muss so sein, wie du es willst. Alles musst du unter Kontrolle haben, genau wie dein Vater.
    Schlimmer beleidigen hätte er sie nicht können.
    Es dauerte lange. Am Ende bekamen sie gerade noch die Kurve. Wütend sein war nicht seine Art. Nach fast einem Jahr zogen sie um nach Gooi, wo er als Vorarbeiter bei einem Bauunternehmen anfangen konnte. Ihre neue Unterkunft war ein Reihenhaus, aber mit Garten, und es lag im Grünen. Langsam wurde es besser. Bobby konnte über die Felder radeln und fand Freunde. Sie holten sich einen Hund, einen eigensinnigen Dackel, den das Kind heiß und innig liebte. Hans legte seine Hände wieder um ihre Taille. Doch das Gefühl, sich nie mehr richtig zu Hause zu fühlen, wurde nicht wirklich kleiner. Ihre Flucht aus Neuseeland blieb ein Tabuthema. Auch die Tatsache, dass sie – wie Diebe in dunkler Nacht – weggefahren waren, ohne ihre Freunde zu benachrichtigen, nagte an Hans. Norman und Edna, Ian und Kathleen, von niemandem hatten sie sich verabschiedet. Und Frank de Rooy, der beim Bau seines Hauses auf ihn gezählt hatte. Marjorie verschwieg ihre Vermutungen über Frank. Nach langer Zeit schrieb Hans Frank einen Brief. Er war kein geborener Briefschreiber und musste sich sehr anstrengen. Ich bringe ihn morgen zur Post, erklärte Marjorie, morgen, wenn ich mit dem Hund rausgehe.
    Jetzt starrt sie geradewegs in die Grube. Sie beugt sich zu ihrem Sohn hinüber und fragt flüsternd, ob er für sie eine Schaufel Erde auf den Sarg werfen könnte. Dabei tippt sie auf ihren Gipsarm. Die Erde gleitet von der Schippe und landet mit einem schweren Plumps unten auf dem Sarg. Sie schließt die Augen. Tut mir leid, sagt sie störrisch zu dem Toten.
    Sie bleiben nicht lange am Grab stehen.
    Bob legt seiner Tochter den Arm um die Schulter. »Ich kenne diesen Mann überhaupt nicht«, flüstert Hannah ihm beim Weitergehen ins Ohr. Er drückt sie einen Moment lang an sich, überglücklich darüber, sie wiederzusehen.
     
    Ada greift mit beiden Händen in die Erde. Über dem Sarg lässt sie sie aus den Händen gleiten und fischt dabei einen Kieselstein heraus. Bitte. Danke. Sie wischt die übrig gebliebene Erde so gut es geht von dem kleinen, glatten Stein ab, der die Wärme der Mittagssonne noch in sich trägt. Sie nimmt den Stein in die hohle Handfläche und schließt die Augen. Die Erde bleibt ihr unter den Nägeln hängen.
    Am Anfang war es vor allem die Verzweiflung, der Verlust. Sie kam triefnass in den Bunker, umarmte ihre Kinder und spürte, wie Trauer sich ihres Körpers bemächtigte. Es war ein physischer Schmerz, ein Phantomschmerz, eine unaufhörliche Folter, die sie vor der Außenwelt verborgen halten musste. Sie konnte seine Hand in ihrer eigenen spüren. Sie sah ihn neben sich sitzen, stehen oder liegen und konnte ihn dabei beinahe anfassen. Sie sah ihn überall. Sie konnte nicht glauben, dass er nicht gleich vor ihr stehen würde, dass er nachher nicht im Bett auf sie wartete. Unterdessen zog sie die Kinder an und machte Mittagessen für Derk. Unaufhörlich hörte sie seine Stimme. Seine Worte. Sie spürte seine Hand in ihrem Nacken. Wenn niemand zu Hause war, holte sie das gestreifte Kleid aus der Schublade, drückte ihr Gesicht in den Stoff und roch ihren eigenen Körper in seinen Armen. Die Bilder, die dabei in ihr aufstiegen, veränderten sich nie und behielten stets ihre Kraft. Ohne Pause redete sie mit ihm, in ihrem Kopf, so wie sie es gewohnt war. Und nun antwortete er auch. Auch seine Sätze veränderten sich nicht mehr und verloren niemals ihre Kraft. Lass dir nichts erzählen, Ada, hörte sie, wenn sie während der Predigt in der Kirche die kalten Augen des Pastors auf sich gerichtet wusste. Er setzt dich in eine Transportkiste, vernahm sie, wenn Derk ihr furchtbare Vorwürfe machte.
    Und langsam, ohne dass es ihr wirklich bewusst wurde, straffte sie ihren Rücken. Wir ziehen um, verkündete sie Derk eines

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