Bravo, liebes Hausgespenst!
Sie lief hinunter, um ihm die Tür zu öffnen. „Gut, daß Sie da sind, Herr Doktor! Sicher habe ich Sie beim Mittagessen gestört!“
„Meine Haushälterin hat es so dringend gemacht, daß ich es hinuntergeschlungen habe.“
„Tut mir leid, Herr Doktor!“
Pützing war ein drahtiger kleiner Mann, und noch sehr jung. Er hatte blitzblaue Augen, die von kleinen Lachfalten umgeben waren. Monika half ihm aus dem Mantel. Dann stieg er hinter ihr her die Treppe hinauf.
„Meine Mutter ist draußen ausgerutscht“, erzählte Monika, „an manchen Stellen ist der Schnee ja jetzt gefroren. Hätte ich doch bloß heute früh gestreut! Ich hatte es mir vorgenommen. Aber ich muß vor der Schule noch mein Pferd versorgen...“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen“, sagte der Doktor, „oder bist du für alles, was bei euch zu Hause passiert, verantwortlich?“
„Das nicht. Aber ich fühle mich manchmal so.“
Oben angekommen, begrüßte Dr. Pützing die Mutter, legte ihr erst die Hand auf die Stirn und dann, während er den Sekundenzeiger auf seiner Armbanduhr beobachtete, zwei Finger auf den Puls.
„Fieber“, stellte er fest.
„Sie hat ziemlich lange draußen gelegen“, berichtete Monika. Dr. Pützing öffnete seine Bereitschaftstasche, holte ein Fieberthermometer heraus und steckte es dann Frau Schmidt in den Mund.
Monika deckte ihre Mutter auf. „Sie meint, sie hat sich ein Bein gebrochen.“
Frau Schmidt lag vollständig angezogen in ihren langen Hosen, die sie im Winter zu tragen pflegte, im Bett. Nur die Hausschuhe hatte sie verloren. Eines der Hosenbeine war zerrissen und blutig.
„Wie ist sie dann überhaupt hierheraufgekommen?“ fragte der Doktor verwundert.
„Jemand hat sie getragen.“
„Du doch nicht?“
„Nein, natürlich nicht, dazu bin ich nicht stark genug.“
„Warum hat der Jemand sie dann nicht gleich versorgt? Oder wenigstens mich angerufen?“
„Er... er kann nicht telefonieren.“
„Ein Dorftrottel also“, meinte Doktor Pützing.
„Nein, o nein, sagen Sie so etwas nicht!“ Monika wurde blaß. Die Lampe an der Zimmerdecke begann sachte hin und her zu schaukeln.
„Warum bist du denn so erschrocken?“
„Bin ich gar nicht, ich... ich kann es nur nicht leiden, wenn über Abwesende schlecht gesprochen wird.“
„Ein edler Zug von dir! Aber ich finde doch, daß jemand, der imstande ist, deine Mutter nach oben zu tragen, auch so viel Verstand haben sollte, sie nicht einfach so liegen zu lassen.“
„Das ist keine Sache des Verstandes“, sagte Monika und merkte selber, daß es lahm klang.
Dr. Pützing nahm eine vorn abgestumpfte Schere und schnitt das blutige Hosenbein auf. „Du selber bist erst... na, wie alt bist du?“
Monika reckte sich. „Ich werde zehn.“
„Und hattest trotzdem soviel Grips, mich gleich anzurufen. Daraus muß man doch schließen...“
„Dieser Jemand ist mein Freund“, erklärte Monika hastig.
„Ach so? Na, das ist natürlich was anderes. Seine Freunde kann man sich nicht aussuchen.“
Die Lampe wackelte jetzt heftig, aber zum Glück war Dr. Pützing so mit seiner Untersuchung beschäftigt, daß er es nicht sah.
Aber er merkte, daß Monika lautlos die Lippen bewegte; sie versuchte Amadeus zurechtzuweisen.
„Wolltest du noch etwas sagen?“ fragte er.
„Nnnnein“, brachte Monika heraus.
„Kam mir aber ganz so vor.“
Dr. Pützing hatte jetzt auch den Strumpf entfernt. Das rechte Schienbein der Mutter war gebrochen, und der Knochen hatte das Fleisch und die Haut durchbohrt. Monika hätte am liebsten weggeguckt, aber sie biß die Zähne zusammen.
Der Arzt nahm Frau Schmidt das Thermometer aus dem Mund und runzelte die Augenbrauen, als er die Temperatur ablas.
„Steht es schlimm?“ fragte Monika.
Sie bekam keine Antwort. Der Doktor desinfizierte das Thermometer, bevor er es wegsteckte. Dann sagte er zu Frau Schmidt: „Jetzt muß ich Ihnen leider weh tun! Aber es ist gleich vorbei!“ Er griff mit beiden Händen das gebrochene Bein, machte eine kurze, kräftige Bewegung und — schwupp — war das Bein wieder gerade.
Frau Schmidt schrie und verlor das Bewußtsein.
„Ein glatter Bruch“, sagte Dr. Pützing zufrieden, „der wird bald heilen.“ Er holte eine kurze Schiene aus seiner Bereitschaftstasche und band den gebrochenen Unterschenkel daran fest, so daß er gerade blieb. Dann sah er zufällig hoch und entdeckte die schaukelnde Lampe. „Nanu?“ fragte er. „Was ist denn das?“
„Ich... ich bin aus
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