Breathe - Gefangen unter Glas: Roman (German Edition)
dann folgen? Aber na ja, ich kann sie ja schlecht allein auf der Straße stehen lassen.
Ich ziehe meine Kapuze zurecht und seufze. Bea hat ihren Blick jetzt von mir abgewandt und blickt stur vor sich hin. Plötzlich weicht ihr Missmut einer Art Schreckensstarre.
»Quinn«, flüstert sie.
»Was?«
»Da.« Mit der einen Hand packt sie mich am Arm, mit der anderen deutet sie nach oben. Ihre Augen sind angstgeweitet, ihre Hand umklammert mich wie ein Schraubstock. Ich wirbele herum, die Fäuste im Anschlag, aber ich kann weit und breit nichts Bedrohliches erkennen.
»Was ist?«
»Da oben« sagt sie und ich schaue in die Wolken.
»Nein. Das Haus, in dem Alina ist. Das Fenster.«
Tatsächlich. An einem der Fenster im ersten Stock steht eine dürre Gestalt. Wir werden beobachtet.
»Und nun?« Bea hängt immer noch mit einem Arm an mir, mit der anderen Hand nestelt sie an ihrer Maske herum. Ihr Atem geht schnell.
Als ich überlegt habe, Alina vor den möglichen Gefahrenin dem Haus zu schützen, habe ich keine Sekunde daran gedacht, dass es für sie wirklich gefährlich werden könnte. Ich fand nur, es wäre eine tolle Gelegenheit, Mut zu zeigen, ohne wirklich mutig sein zu müssen. Also was nun? Ich bohre mit meiner Stiefelspitze im nassen Boden herum.
»Quinn«, drängt Bea.
»Moment, nun lass mich doch mal nachdenken.« Mit einem Einzelnen könnte ich es vielleicht noch aufnehmen, aber was, wenn das ganze Haus voller Ausgestoßenener ist? Was, wenn sich dort tote Touristen und leere Sauerstoffflaschen nur so stapeln?
»Okay, wir gehen rein«, verkündet Bea da aus heiterem Himmel und zieht das Messer aus meinem Gürtel. »Der Hammer«, erinnert sie mich.
Ich werfe meinen Rucksack zu Boden und krame rum, bis ich ihn gefunden habe. Er ist kleiner, als ich ihn jetzt gerne hätte.
»Wir brauchen einen Plan«, sagt Bea.
Ich starre zu dem Fenster hoch. Die Gestalt zieht langsam den Vorhang zu und verschwindet.
»Also, ich denke, wir sollten versuchen, nicht umgebracht zu werden«, schlage ich vor.
ALINA
Die gelbe Paisleytapete im Flur ist feucht und kommt Bahn für Bahn runter. Der verfleckte beige Teppichboden modert vor sich hin. Rechts führt eine Doppeltür in ein großes Wohnzimmer, am Ende des Flurs liegt die Küche. Ich ziehe meine nasse Jacke und die Hose aus und lege beides neben die Haustür. Hier drinnen ist es kalt, aber wenigstens bin ich vor Regen und Wind geschützt. Trotzdem will ich nicht länger als nötig hier rumhängen. Ich werde nur kurz nach Klamotten schauen und nach irgendetwas, das als Waffe taugt, dann haue ich wieder ab. Ich mag nicht bei Dunkelheit durch die Straßen geistern. Ich will vor Einbruch der Dämmerung in der Stadt sein.
Das Wohnzimmer ist voller Staub und grüner Stockflecken. Aber das hier war einmal ein tolles Haus, ohne Zweifel: ein Kamin aus rotem Marmor, daneben ein Flügel, an der gegenüberliegenden Wand ein riesiger, mittlerweile gesprungener Bildschirm.
Ich gehe in die Küche. Die wurde geplündert. Die rückwärtigen Fenster sind eingeworfen und im Garten verstreutliegen demolierte Möbel herum – Stühle, ein Tisch, ein Küchenschrank mit Schnitzereien, ein zerbrochener Babystuhl.
Während des Switch sind viele Leute einfach durchgedreht. Weil ihnen jegliche Hoffnung genommen wurde, haben sie blindwütig alles zerstört, was ihnen in die Finger kam. Erstaunlich, dass der Flügel noch so unversehrt aussieht.
Der Küchenboden ist mit Scherben übersät, zentimeterhoch liegt dort zerbrochenes Porzellan und Glas. Ich schiebe die Scherben mit den Füßen beiseite und suche nach einem Messer. Ich finde ein völlig verrostetes, total verdrecktes, aber zumindest hat es eine ordentliche Klinge, ungefähr dreißig Zentimeter lang, und ist überraschend scharf.
Ich schnappe es mir, gehe zurück in den Flur und von dort aus die Treppe in den ersten Stock rauf. Auf dem Treppenabsatz bleibe ich stehen. War da nicht ein Geräusch? Das Haus ist so still, dass jedes noch so leise Knacken mich aufschrecken lässt. »Was soll mir hier wohl passieren? Soll mich ein Toter anfallen?«, sage ich laut.
Die Teppiche oben sind ebenfalls vermodert. Stellenweise hat sich sogar Moos gebildet. Ich taste mich den Flur voran, bemüht, dem Regen auszuweichen, der an einigen Stellen durch die Decke tropft, und öffne die Tür zu einem kleinen Zimmer. Es ist ganz in Rosa gehalten und die Wände sind mit Bildern von Einhörnern und Feen gepflastert. Ich gehe zur gegenüberliegenden
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