Breathe - Gefangen unter Glas: Roman (German Edition)
selbst bin auch etwas beunruhigt. Und hab ein schlechtes Gewissen. Wir hätten ihn nicht so ärgern sollen. Wir haben ihn als absoluten Deppen dastehen lassen – verständlich, dass er abgehauen ist, um erst mal eine Runde zu schmollen.
»Er ist halt etwas weltfremd«, erklärt Bea, als hätte ich das nicht längst selbst gemerkt.
»Stimmt.«
»Aber er ist ein guter Kerl«, fügt sie hinzu.
»Ich hab nie was anderes behauptet.«
»Nur weil er Premium-Bürger ist, muss er noch lange nicht so sein wie die. Er ist anders, wirklich. Er hat zum Beispiel nie so getan, als wäre er was Besseres als ich.«
»Ist er ja auch nicht«, stelle ich fest, woraufhin Bea schweigt.
Und mitten in unser Schweigen hören wir oben ein gewaltiges Donnern. Wahrscheinlich ahnen sie, dass Quinn nicht alleine unterwegs war. Ob er ihnen von uns erzählt hat? Von mir?
Bea hockt sich neben Maude auf den Boden, die jetzt weint und jault wie eine kaputte Alarmanlage.
»Herrje, die soll endlich aufstehen!«, blaffe ich, extrabarsch, weil ich mir nicht anmerken lassen will, dass ich langsam Mitleid bekomme mit dieser alten, kranken, verzweifelten Frau.
»Komm schon, Maude«, versucht Bea sie zu beruhigen,zieht sie hoch und setzt sie auf die unterste Rolltreppenstufe. Dann stellt sie sich neben mich, löst – ohne mich zu fragen – Maudes Sauerstoffflasche von meinem Handgelenk und reicht sie der alten Frau. Ich überlege kurz, ob ich sie ihr wieder wegnehmen und Bea daran erinnern soll, dass wir einen Deal haben: Wir lassen Maude am Leben, sorgen aber dafür, dass sie nicht weglaufen oder uns noch mal angreifen kann. Aber dann wird mir klar, dass Maude gar nicht abhauen kann. Wohin denn?
»Wenn sie die Sauerstoffflasche wiederkriegt, musst du ihr zumindest die Hände zusammenbinden. Sonst kann sie sich jederzeit auf uns stürzen.«
»Das wird sie nicht«, entgegnet Bea.
»Woher willst du das wissen? Los, binde ihr die Hände zusammen.«
Bea geht zu ihrem Rucksack, zieht ein Seil daraus hervor und wickelt es um Maudes Handgelenke. Maude stöhnt nur und deutet zum Bahnsteig.
»Nein, dazu könnt ihr mich nich zwingen«, keucht sie. Ich stehe auf und gehe auf den Bahnsteig. »Nein, nicht!«, brüllt sie.
»Was ist denn in dich gefahren? Es gehen doch ständig Leute durch den Tunnel.« Die U-Bahn-Tunnel waren schon immer unsere sichersten Wege in die Stadt hinein und aus der Stadt heraus. Vor allem, weil sich dort keine Ausgestoßenen rumtreiben.
»Und was is mit den ganzen Körpern?«, fragt Maude.
»Die sind doch längst verwest«, erkläre ich und gehe dabei geflissentlich über den Gestank hinweg, der nochimmer in den Tunnels hängt. Den riecht sie wahrscheinlich selbst.
»Das is ’ne Todesstation«, flüstert sie.
Bea springt auf und lässt das Licht der Taschenlampe schweifen, so als erwarte sie, jeden Moment überfallen zu werden. Da dröhnt plötzlich der ganze U-Bahn-Schacht, als hätte es oben einen weiteren Einschlag gegeben.
»Es wird schlimmer«, sagt Bea. Ich nicke. Sie denkt an Quinn. Das tue ich auch.
»Ich war mal Krankenschwester«, erzählt uns Maude. »’ne junge Krankenschwester. Also, besser gesagt ’ne Lernschwester. Ich war noch nich mit allen Prüfungen fertig, als die Schwesternschule dichtmachte. Aber die Leute brauchten Krankenschwestern und es gab nun mal nich genug, und deshalb mussten sogar die Lernschwestern ran. Die Leute brauchten uns doch. Wir wurden richtig gebraucht. Und wir ham unser Bestes gegeben.«
»Aber was konntet ihr denn tun? Ihr konntet ja bestimmt nicht alle retten«, sagt Bea.
»Nee, eben. Und deshalb ham wir das Gegenteil gemacht. Hier unten. Genau hier.«
»Wie meinst du das?«, flüstert Bea.
»Na, die Leute kamen und ham auf ’n Bahnsteigen gewartet und die Ärzte und Schwestern sind durch die Tunnel gelaufen, von Station zu Station, und ham getan, was sie konnten.«
Bea steht ganz angespannt da, mit gerunzelter Stirn und zusammengekniffenen Augen, so angestrengt versucht sie zu begreifen, was Maude da erzählt.
»Ihr habt die Leute umgebracht«, sage ich.
Maude umklammert ihre Knie mit den Armen.
»Nee, wir ham sie von ihrem Elend erlöst. Hätt doch sonst keiner gemacht. War ja illegal.«
»Todesstationen«, murmelt Bea.
»Am Ende war’s die einzige Lösung. Und außerdem kamen sie ja zu uns . Waren alle möglichen Leute. Obwohl, meistens waren’s Arme. Solche, die wussten, dass sie keine Chance hatten, sich’n Platz inner Kuppel zu
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