Breathe - Gefangen unter Glas: Roman (German Edition)
Keiner von uns wird lebendig da rauskommen. In dem Moment taucht Silas’ Gesicht in einem Fenster des zweiten Stocks auf.
»Mensch, Quinn, worauf wartest du noch? Mach, dass du hier reinkommst!«, brüllt er.
»Ich hab keine Lust, lebendig begraben zu werden!«, rufe ich zurück. »Kannst mich gerne ein Weichei nennen, ist mir egal.«
Verrostete Autos säumen die Straße, einige sind sogar mitten auf der Fahrbahn stehen gelassen worden. Ich werde mich einfach in einem von ihnen verkriechen.
»Wenn du nicht auf der Stelle mit deinem Gewinsel aufhörst und deinen Arsch hier reinbewegst, dann werde ich dich lebendig begraben. Nimm die Treppe.«
Ich weiß nicht, warum, aber plötzlich nehme ich meine Beine in die Hand und renne hinter ihnen her, rein ins Gebäude und die Treppen rauf. Ich renne und renne, in der Hoffnung, Silas und Inger irgendwann mal zu treffen, aber das Einzige, was ich sehe, sind immer noch mehr Treppen.
»Ist nicht mehr weit!«, ruft Silas irgendwo über mir.
Also steige ich höher und höher und irgendwann steht Silas vor mir und starrt mich an.
»Los, komm«, drängt er.
Wir flitzen einen dunklen Flur entlang, vorbei an leerenBüros mit umgekippten Schreibtischen und Stühlen und zerborstenen Computerbildschirmen.
»Inger?«, ruft Silas.
»Alles okay, keine Sorge«, tönt es zurück.
»Gut«, sagt Silas, als wir schließlich fast in völliger Dunkelheit dastehen. »Und jetzt weg mit den Klamotten.«
Fassungslos schaue ich zu, wie Silas seine Jacke auszieht und seinen Pullover über den Kopf streift. Dann reißt er sich die Stiefel und Socken von den Füßen und schleudert sie weit in den Flur hinein.
»Mensch, bist du taub, oder was?« Seine Atemmaske hat sich gelockert und er nestelt herum, um sie wieder zu befestigen.
»Silas, ich finde …«, beginne ich.
»Du bist zu warm, Mann. Sie werden dich über deine Körperwärme aufspüren. Du musst kälter werden. Jetzt reiß dir endlich die verdammten Klamotten vom Leib oder wir werden tatsächlich lebendig begraben«, schreit er.
Und er muss wirklich schreien, denn inzwischen ist das Geräusch allgegenwärtig: Es ist nicht das tiefe Rumpeln und Rasseln von Panzerketten, sondern ein Zerschneiden von Luft um uns herum. In allernächster Nähe.
Ich fahre aus meinen Sachen, während Silas mich mit Schnee bewirft und mir zuletzt noch Wasser aus seiner Trinkflasche über den Kopf schüttet. Ich schreie auf. Silas selbst ist bereits klatschnass. Als ich an ihm runterblicke, stelle ich allerdings fest, dass er seine Unterhoseanbehalten hat, während ich splitternackt dastehe. Automatisch halte ich mir eine Hand vor den Schritt, während ich mit der anderen die Sauerstoffflasche umklammere.
»Du hast gesagt, ich soll mich ganz ausziehen«, murre ich.
Silas schüttelt den Kopf und wendet sich ab. Der Lärm ist jetzt ohrenbetäubend. Ich lege einen Arm über meinen Kopf, um meine Ohren zu schützen, und spüre, wie gleichzeitig mein Penis vor Kälte zusammenschrumpft. Zum Glück kehrt mir Silas den Rücken zu.
Als der Lärm nachlässt, schlüpfe ich als Allererstes in meinen Slip. Sofort dreht sich Silas zu mir um.
»Da kommen noch mehr«, warnt er.
Und er hat recht. Binnen einer Minute donnert es erneut am Himmel, und wir können nichts weiter tun, als zitternd dazustehen und abzuwarten. Ich will Silas’ Körper eigentlich gar nicht anstarren und versuche krampfhaft, meinen Blick abzuwenden, aber trotzdem entgeht mir nicht, wie kräftig er ist. Ich schaue an mir selbst runter. Ich bin schlank und muskulös, die Mädchen haben sich nie beschwert – aber im Vergleich zu Silas bin ich ein absoluter Hänfling. Silas hat genau die Art von Körper, auf die Frauen stehen. Er sieht aus wie ein Mann. Diese Gedanken schießen mir durch den Kopf, während über uns lebensbedrohliche Flugobjekte durch die Luft brettern. Ich stehe schlotternd und halb nackt da, mit einem Fuß schon auf der Schwelle zum Tod, und alles, woran ich denken kann, sind Silas’ Muskeln. Völlig verrückt.
»So, das ist wahrscheinlich der Letzte gewesen«, meint Silas nach einer Weile und hebt seine Klamotten vom Boden auf.
»Wetten, wir kriegen ’ne fette Unterkühlung?«
»Ach was, rubbel dir die Haare ab und fertig«, lautet die knappe Antwort.
Während ich noch in meine Hose steige, ist er bereits komplett angezogen. Als auch ich endlich fertig bin, sagt er: »Komm und schau sie dir an.«
Wir durchqueren den Flur bis zu einem Büro mit Fenster. In der Ferne
Weitere Kostenlose Bücher