Breathe - Gefangen unter Glas: Roman (German Edition)
in entgegengesetzte Richtungen davon, Inger in meine Richtung, zurück zum Hochhaus. Doch die Soldaten müssen irgendetwas bemerkt haben, denn sie rennen auf einmal auch, setzen über Schuttberge hinweg und verteilen sich auf sämtliche Seitenstraßen.
Da rutscht Inger im Schnee aus und fällt hin. Zwar rappelt er sich sofort wieder auf und humpelt weiter, aber einige Soldaten sind bereits hinter ihm her. In beängstigendem Tempo. Ich halte den Atem an. Ich rufe nicht mehr. Inger ist jetzt direkt unter mir. Er ist so nah herangekommen, dass ich sehen kann, wie er sich das Bein reibt. Er humpelt und humpelt, und genau in dem Moment, in dem eine Vorhut der Soldaten um die Ecke stürmt, sucht er im gegenüberliegenden Gebäude Deckung. Aber es ist bereits zu spät.
Die Soldaten postieren sich umgehend vor dem Gebäude. Einer von ihnen zückt sein Funkgerät und binnen einer Minute steuern sämtliche Panzer auf das Haus zu. Auch die versprengten Fußsoldaten verschmelzen wieder zu einer Truppe, die sich schon wenig später am Fuße meines Hochhauses sammelt. Die Panzermotoren werden ausgestellt und sofort liegt eine bleierne Stille über dem Ort.
Als Silas meine tragbare Sauerstoffflasche weggeworfen hatte, enthielt sie noch einen kleinen Rest Sauerstoff. Deshalb hebe ich sie jetzt vom Boden auf, befreie sie vom Schnee und schnalle sie wieder um. Und schonstürze ich die Treppen hinunter. Im Erdgeschoss kauere ich mich hinter einen alten Aktenschrank in der Nähe eines zerbrochenen Fensters, durch das ich alles beobachten und mithören kann. Sollten sie Anstalten machen, Inger etwas anzutun, werde ich mich zeigen. Mir werden sie nichts tun, schließlich bin ich Premium-Bürger. Zu irgendwas muss das doch gut sein.
Ein General oder Kommandant oder was auch immer streckt seinen Kopf aus einem der Panzer und klettert nach einer Weile ganz heraus. Wie die Soldaten trägt auch er einen klobigen schwarzen Helm.
»Stürmt das Haus und bringt ihn mir!«, befiehlt er und wedelt wie beiläufig mit der Hand, als wäre es nicht mehr als eine kleine Unannehmlichkeit, Inger dort rauszuholen. »Aber ich will ihn lebend!«, fügt er hinzu.
Sofort setzt sich ein Trupp von etwa zwanzig Soldaten in Bewegung und läuft wie an einer Schnur aufgereiht in das Gebäude. Ich kann sogar ihre Stiefel hören.
Der General nähert sich einem Soldaten, der beängstigend dicht vor meinem Fenster steht. »Wie viele haben Sie gesehen, Captain?«, fragt er. Seine Stimme klingt kalt und emotionslos.
»Zwei, Herr General. Zwei Männer, denken wir, Sir«, antwortet der Captain.
»Dieselben zwei Männer, die unseren Panzer gestohlen haben?«
»Das bezweifle ich, Sir. Die Stelle, wo der Panzer verschwand, ist fünf Meilen von hier entfernt. Wir setzen Zips für die Suche ein, Sir.«
»Ich will, dass der Panzer gefunden wird, Captain. Und die Schuldigen ebenso.«
»Verstanden, Sir. Wir werden sie finden.«
»Das will ich Ihnen raten.«
Der General lässt den Captain stehen und spricht in sein Funkgerät. Seine Stimme, obschon sicherlich verzerrt durch den Helm und die Maske, klingt seltsam vertraut. Mein Vater schleppt alle naselang Regierungsmitglieder und hochrangige Funktionäre mit nach Hause. Kann es sein, dass ich dem Mann schon mal begegnet bin?
Da wird Inger aus dem Gebäude gezerrt und vor dem General auf die Knie gezwungen. Sofort tritt dieser ihm in die Brust. Inger brüllt auf und fällt nach hinten. Ein Soldat richtet ihn wieder auf, und diesmal tritt ihm der General gegen den Hinterkopf. Ich kann das nicht mit ansehen, ich muss weggucken.
»Das war noch meine freundliche Art«, erklärt der General. »Wenn du mich zornig erleben willst, musst du nur versuchen, mich anzulügen. Wenn du aber weiterleben willst, dann erzähl mir, wo sich dein Partner verkrochen hat.«
»Welcher Partner?« Inger läuft Blut über das Gesicht und den Hals.
»Ich will wissen, mit wem du zusammen warst und wo sich dein Komplize versteckt. Lebt deine Familie in der Kuppel? Wie steht’s mit deinen Freunden? Was treibst du hier draußen? Hast du gepflanzt? Die Erde bewirtschaftet?« Der General lacht laut auf. »Ihr scheint einfach nicht zu kapieren, dass eure Bemühungen absolutsinnlos sind. Habt ihr auch nur die geringste Vorstellung davon, wie lange es dauern würde, den Planeten wieder mit Sauerstoff zu versorgen? Ich werde es dir sagen: ein Jahrtausend. Da seid ihr längst tot.«
»Warum jagt ihr uns dann?«, brüllt Inger.
Der General greift sich
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