Brechreizend - Die fiesesten Reiseziele der Welt
(nebenbei bemerkt lautete das Motto des Unternehmens: »Die Waffe, die den Westen gewann«). Das Medium forderte sie auf, sofort zu reagieren, um nicht das nächste Opfer zu werden. Vermutlich sagte es ihr, die einzige Möglichkeit zur Besänftigung der wütenden Geister läge in einem Umzug nach Westen und einem Hausbau dort. Diese Aufgabe schien nicht allzu schwierig für eine Frau, die im späten neunzehnten Jahrhundert durchschnittlich 1000 Dollar am Tag verdiente. Allerdings gab da es eine Hürde: Das Haus dürfe nie vollendet werden – sobald die Arbeiten unterbrochen würden, sännen die Geister wieder auf Rache.
Sarah Winchester zog von Connecticut nach San José, kaufte ein im Bau befindliches Bauernhaus mit acht Zimmern und begann mit den Bauarbeiten. Die von ihr angeheuerten Tagelöhner arbeiteten in Schichten rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche und 365 Tage im Jahr. Vom Tag des Baubeginns bis zu ihrem Tod achtunddreißig Jahre später hörten die Handwerker niemals auf zu arbeiten. Der Legende nach zog sich Sarah Winchester jeden Abend in ein Séance-Zimmer in der Mitte der Villa zurück, um mit verlorenen Seelen zu kommunizieren und sich bei dieser Gelegenheit gleich auch um die Baupläne des nächsten Tages zu kümmern.
Das Resultat ist ein kolossales Haus, das dem Besucher vermittelt, was geschieht, wenn sich ein millionenschweres Vermögen und der Glaube an paranormale Vorgänge in einer Frau vereinigen, die keine Ahnung von Architektur hat. Das Gebäude hat 160 Räume unterschiedlicher Größe, darunter allein 40 Schlafzimmer auf 4 Etagen (vor dem großen Erdbeben in San Francisco 1906 waren es noch 7), 47 Kamine, 17 Schornsteine, mehrere Geheimgänge und über 1000 Fenster. Innen gibt es Kuriositäten wie zum Beispiel Türen, hinter denen sich eine Wand befindet, dafür führt eine andere Tür direkt in den Abgrund; es gibt eine Treppe, die zunächst 7 Stufen hinab- und dann wieder 11 hinaufführt, sowie eine Treppe, die einfach an der Decke des Raumes endet. Im ganzen Haus finden sich Anzeichen ehemaligen Reichtums, zum Beispiel Fußböden mit von Hand gefertigten Einlegearbeiten oder Tiffany-Glasfenster sowie merkwürdige Besonderheiten wie Fensterscheiben in Spinnwebenform oder eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der Zahl 13.
Seit Sarah Winchesters Tod im Jahr 1922 ist das Haus in der einen oder anderen Form für Publikum zugänglich. Leider istdie Legende spannender als das Haus selbst. Ein Teil des Problems liegt darin, dass Sarah Winchester das gesamte Mobiliar, die Haushaltsgegenstände, Bilder und andere Kunstwerke ihrer Nichte mit dem alliterativen Namen Mrs. Marian Merriman Marriott vermacht hat. Die Dame kam sofort zur Sache, räumte das Haus leer und verkaufte den gesamten Nachlass. Mrs. M. hat mit Sicherheit guten Profit gemacht, doch das gigantische Haus ist, abgesehen von ein paar nachträglich im Stil der Epoche möblierten Zimmern, völlig leer. Trotz der Legende von Séancen, Geistern und Medien weiß eigentlich niemand, warum die Dame ihr Haus tatsächlich so merkwürdig gebaut hat. Möglicherweise stimmt die Geschichte, aber vielleicht hat Sarah Winchester auch einfach nur an einer im frühen zwanzigsten Jahrhundert angesiedelten Version von Zuhause im Glück teilgenommen. Oder sie hatte einfach nicht alle Tassen im Schrank.
Unabhängig davon endet die Gelegenheit, viel Geld auszugeben, auch im Winchester-Haus nicht mit der geführten Tour. Neben einer Verkaufshalle mit Videospielen aus den achtziger Jahren gibt es noch eine Ausstellung über Produkte aus dem Unternehmen Winchester: Winchester-Taschenlampen, Winchester-Rollschuhe und Winchester-Schraubenschlüssel sowie ein Lebkuchenobjekt, welches das Winchester-Haus für die Nachwelt unsterblich macht. Der angeschlossene Museumsshop bietet alles, was das Herz begehrt: Winchester-Haus-Schnapsgläser, Tragetaschen, T-Shirts sowie eine hauseigene Weinmarke, die sich das Regal mit Windspielen in Schmetterlingsform, Geschirrtüchern und Kühlschrankmagneten teilt, die kundtun, dass das Wort » STRESSED « nur die umgekehrte Lesart von » DESSERTS « ist.
Die Summe all dieser Dinge – Museumsshop, kilometerlange Wanderung durch leere Räume und die völlige Abwesenheit konkreter Fakten – vermittelt ein ähnliches Gefühl wie eine Mahlzeit bei McDonald’s: Man ist satt, fühlt sich aber überraschend leer. Die einzige Rechtfertigung für dieses Haus als Touristenattraktion ist seine Größe. Normalerweise würde
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