Brenda Joyce
Heirat?«, fragte sie wütend.
Eine ganze Weile lang blieb es still, ehe er
endlich ganz langsam sagte: »Sie haben mich geküsst, Francesca, nich
umgekehrt.«
»O nein, Sie quälen mich doch schon seit Tagen auf gnadenlose
Weise!«
Er sagte: »Bei Ihnen klingt das so verwerflich. Als sei die Ehe
etwas ganz Furchtbares.«
»Im Grunde stellen Sie mir nach wie all den anderen Frau en, nur
eben auf eine andere Art und Weise!«, rief sie »Aber ebenso rücksichtslos ...
verführerisch ... selbstsüchtig! Nur dass Ihr Ziel bei ihnen darin bestand, sie
ein- oder zweimal ins Bett zu bekommen, während Sie mich zu Ihres Sklavin
machen und in eine Ehe zwingen wollen!«
Er erstarrte.
Sie sah den gefährlichen Ausdruck auf seinem
Gesicht und in seinen Augen und wusste, dass sie zu weit gegangen war.
»Sklavin? Ich hege nicht den geringsten Wunsch, Sie zu meiner
Sklavin zu machen, meine Liebe.«
»So habe ich es nicht gemeint«, versuchte sie ihre Worte sogleich
zurückzunehmen.
»Doch, das haben Sie. Sie sind eine leidenschaftliche Frau und
sagen immer offen heraus, was Ihnen auf dem Herzen liegt. Ich wünsche Ihnen
einen guten Abend, Francesca.« Er wandte sich abrupt ab.
»Und Sie laufen ständig weg, wenn wir uns
streiten!«, rief sie ihm nach. Hätte sie einen Teller in der Hand gehabt, sie
hätte ihn ihm wohl an den Kopf geworfen – und getroffen.
Er wirbelte wieder herum. »Weil Sie mich über alle Maßen hinaus
provozieren und ich für nichts mehr garantieren kann«, stieß er hervor und kam
mit langen Schritten auf sie zu.
Furcht überkam sie und sie wich vor ihm zurück, bis sie die Wand
im Rücken spürte.
Er presste sie dagegen. »Ich bin versucht, genau das zu tun, was
Sie sich so sehr wünschen – Sie zu lieben, bis Sie nicht mehr imstande sind,
auch nur einen Schritt zu tun! Und wissen Sie was?«, fragte er mit grober,
wütender Stimme.
Sie hatte Angst. Angst vor den Worten, denn sie fürchtete, dass es
ein grausamer Schlag für sie sein würde.
Und sie hatte recht. »Ich hege nicht den geringsten Zweifel, dass
Sie mich, wenn ich Sie heute Nacht verführte, morgen anflehen würden, Sie zu
heiraten.«
Sie
schnappte nach Luft.
»Und das würde mein Leben doch sehr vereinfachen, nicht wahr? Aber
ich ziehe es vor, den schwierigeren Weg zu gehen.
Allein Sie weigern sich, das einzusehen oder es zu glauben.« Er drehte sich um
und verließ das Zimmer. »Denken Sie doch, was Sie wollen. Das tun Sie ja ohnehin«,
sagte er im Hinausgehen, ohne sich noch einmal umzudrehen.
DONNERSTAG, 20. FEBRUAR
1902 – 22:00 UHR
Sie hörte
ein eigenartiges Geräusch, das beinahe wie ein Keuchen klang.
Catherine Holmes war mit einem Schlag hellwach und lauschte. Aber
es blieb still in ihrem kleinen, dunklen Schlafzimmer.
Dennoch
hatte sie fürchterliche Angst.
Denn sie hatte die Privatdetektivin und die Polizei angelogen. Si
verbrachte die Hälfte des Tages in diesem Schaukelstuhl und blickte wehmütig
aus dem Fenster auf die Straße. Beobachtete ihre Nachbarn und Freunde,
beobachtete Fremde und Diebe. Wie oft schon hatte ihre Mutter sie wegen dieser
Sehnsucht nach der Welt dort draußen ausgeschimpft! Doch es war zu spät. Sie
wusste, dass ihre Mutte recht gehabt hatte. Denn sie hatte etwas gesehen, was
nicht hätte sehen sollen – sie hatte einen Mann gesehen und sie hatte es in
seinem Gesicht gelesen.
Für den Bruchteil einer Sekunde nur, als er sich die
eigentümliche, durchsichtige Maske vom Gesicht gerissen hatte.
Am Montagabend, um sieben Uhr.
Catherine Holmes setzte sich zitternd auf.
Sie rief sich in Erinnerung, dass die Wohnungstür von innen verriegel war. Die
Fenster waren geschlossen. Niemand konnte hereingelangen. Sie versuchte
angestrengt, durch die Schatten die ihr kleines Zimmer erfüllten, etwas zu
erkennen. Sie ließ die Tür immer einen Spaltbreit geöffnet für den Fall dass
ihre Mutter sie einmal mitten in der Nacht rufen soll te, aber sie vermochte
nicht einmal die Türschwelle auszumachen.
Aber er hatte hinaufgeschaut und hatte sie gesehen, wie sie mit
der Nase ans Fensterglas gepresst dagesessen hatte. Und das
war nicht nur eine Vermutung von ihr. Ihre Blicke waren sich begegnet.
»Mutter?«, sagte Catherine nervös. Sie griff nach der kleinen
Kerze auf ihrem Nachttisch. Sie tastete nach den Zündhölzern, hob die Kerze in
die Höhe, doch es gelang ihr noch immer nicht, sie anzuzünden. »Mutter?«, rief
sie, lauter diesmal.
Keine
Antwort.
Sie versuchte ein drittes Mal, die Kerze zu
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