Brennaburg
schloß für einen Moment die Augen.
»Sie sollen eine Pause machen«, hörte er den Grafen sagen. »Laß sie wissen, daß ich mit dem, was sie bisher gezeigt haben, nicht unzufrieden bin.«
Der Kastellan räusperte sich und rief. »Das war nicht übel, ihr Strolche! Ruht euch nun ein Weilchen aus.«
Die erschöpften Männer hielten mitten in einem Schlag oder Hieb inne und ließen sich taumelnd auf Bänken nieder, die man am hinteren Ende des Hofes zwischen zwei Feuern aufgestellt hatte. Von einer jähen Unruhe gepackt, erhob sich Konrad und lief ein paar Schritte umher. Unversehens geriet er dabei in die Nähe der Feuer. Als er bemerkte, daß einige Krieger aufgestanden waren und ihn verwundert musterten, entfernte er sich wieder. An der Tür eines Speichers blieb er stehen und drehte sich so, daß er den Narbigen von der Seite betrachten konnte.
Dieser beachtete ihn nicht, doch an seiner Haltung erkannte Konrad, daß ihn der andere längst entdeckt hatte. Er hatte die Schultern hochgezogen, stützte die Handballen auf die Knie und schaukelte leicht mit dem Oberkörper. Unter seinen von Schweiß und Schmutz streifigen Wangen spielten die Muskeln. Plötzlich spuckte er aus, rückte mit einer entschlossenen Bewegung den Helm zurecht, erhob sich und stieg über die Bank. Gemächlich kam er auf Konrad zu.
»Was ist, Herrchen?« sagte er abgehackt. »Warum glotzt du mir Löcher ins Fell? Hatten wir mal was miteinander?«
Konrad starrte ihn an. Sein Herz pochte so heftig, daß er es zu hören meinte. Trogen ihn seine Augen? Jetzt, da er den anderen von nahem sah, schien es ihm, als ähnelte der seinem Bruder Erich. Er ähnelte ihm, ähnelte ihm aber zugleich auch nicht. Erich war mit neunzehn in den Wald geflüchtet, mußte also gegenwärtig um die achtundzwanzig sein. Dies abgezehrte und zerfurchte Gesicht indes gehörte jemandem, der gut und gern fünfzig Jahre zählen mochte. Konnte man in so kurzer Zeit derart altern? Erich war ein fröhlicher Bursche gewesen, mit einer hellen, überkippenden Jünglingsstimme. Die Stimme des Narbigen hingegen klang so leblos, als spräche er aus einem hohlen Baum heraus …
»Reg dich nicht auf«, beschwichtigte er ihn. »Du hast nichts zu befürchten. Ich möchte dich nur etwas fragen.«
»Dann frag.«
»Deine Leute nennen dich den Finken. Wie lautet eigentlich dein richtiger Name?«
»Hieß schon immer so. Kaum war ich auf der Welt, fing ich an zu zwitschern. Da nannten sie mich eben Fink.«
»Nicht Erich?«
Der Narbige öffnete die Lippen, stellte die Vorderzähne übereinander und sog zischend die Luft in sich hinein. »Ahnte ich's nicht? Du glaubst, daß du mich kennst! Woher? Rück raus damit und schleiche nicht erst um den heißen Brei!«
»Dein Vater hieß Herpo? Deine Mutter Gelsusa?«
»Und wenn? Was wäre dabei?«
»Wenn es so wäre«, erwiderte Konrad, den anderen nicht aus den Augen lassend, »würde es bedeuten, daß ich dein Bruder bin.«
In der Miene des Mannes rührte sich nichts. »Wie ruft man ihn denn, diesen Bruder?«
»Konrad.«
Der Narbige zuckte die Schultern.
»Ihr habt natürlich Kuno zu mir gesagt. Wir hatten drei Schwestern, Wenke, Meta und Heilgard. Außerdem einen Bruder, Hatto, er wurde von Bienen angefallen und starb. Unser Hund –«
»Nicht so eilig!« unterbrach ihn der andere. »Ihr habt! Wir hatten! Wenn du mich reinlegen willst, mußt du es schlauer anstellen.«
»Warum sollte ich dich reinlegen wollen?«
»Was weiß ich …«
Es entstand eine Pause.
»Tut mir leid, Herrchen«, sagte der Narbige auf einmal, »aber du hast dich offenbar geirrt. Darf ich gehen? Oder möchtest du noch ein bißchen mit mir plaudern?«
»Wozu fragst du mich um Erlaubnis? Bist von selbst gekommen, also geh auch wieder, wenn dir danach ist.«
Der andere machte einen Schritt, einen zweiten, dann drehte er sich um. »Verflucht!« knurrte er und schüttelte sich dabei. »Und du bist wirklich …?« Er ließ den Satz unvollendet, hob den rechten Arm und streckte ihn in Höhe von Konrads Hüfte aus.
»Aber ja«, antwortete dieser lächelnd. »Kommt dir denn gar nichts bekannt an mir vor?«
Erich musterte ihn flüchtig. »Nichts«, entgegnete er bestimmt.
»Einmal hast du mir eingeredet, daß man Forellen fangen könnte, indem man eine Himbeere auf eine Weidengerte spießt und sie ins Wasser hält. Ich habe das natürlich geglaubt. Weißt du noch?«
»Nein«, sagte Erich trocken. Er streifte ihn mit einem befremdeten Blick. »Wann ist dir
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