Brennaburg
möchte keinen von denen im Gefolge. Die Männer würden es nicht verstehen. Wenn du es freilich wünschst …«
Gero betrachtete ihn aufmerksam. »Aber nicht doch, mein Freund«, sagte er lebhaft. »Du bist mir für die Leute verantwortlich. Wie dürfte ich dir da hineinreden?« –
Tags darauf, sie wollten gerade aufbrechen, sprengten fünf Reiter in den Hof. Der Kastellan, der den ganzen Morgen auffallend wortkarg gewesen war, fuhr bei ihrem Anblick zusammen und eilte auf sie zu.
»Laß dir Zeit, Herr«, rief ihm einer der Reiter entgegen. »Die Nachricht lohnt nicht, daß du ihretwegen auch nur ein Körnchen Staub aufwirbelst. Das Aas ist längst über alle Berge.«
Der Kastellan stemmte die Hände in die Hüften. »Melde, wie du es gelernt hast, verdammter Mistkerl!« brüllte er.
Der andere saß ab und straffte sich, wobei er seinen Kameraden zulächelte. »Der Flüchtige ist bei Uffo gewesen, daran gibt es keinen Zweifel. Er hat dessen Hund ins Jenseits befördert und zwei seiner Pferde überredet, ihn zu begleiten. Niemand hat etwas gehört, deshalb vermuten sie, daß es um Mitternacht passiert sein muß. Falls das stimmt, holt ihn keiner mehr ein.«
»Habt ihr es denn versucht?«
»Bis zum Eulenholz. Dort hat er offenbar die Gäule getränkt, im Bach war ein Damm. Danach wurde die Spur so schlecht, daß wir für jede Meile einen Tag gebraucht hätten. Glaub mir, Herr, den sehen wir nicht wieder.«
Der Kastellan, ein stumpfnasiger Blondschopf jenseits der Dreißig, winkte ab. Mit verstörtem Gesicht näherte er sich Gero. »Einer der Räuber ist geflohen, Herr Graf«, sagte er, heftig zwinkernd. »Ich habe es dir verheimlicht, weil ich hoffte, sie kriegen ihn noch. Doch wie du –«
»Wer ist es?«
»Der mit den vielen Narben. Erinnerst du dich? Dein junger Mann unterhielt sich gestern mit ihm. Er muß ihn erschreckt haben, anders kann ich mir's nicht erklären … War etwas zwischen euch?« wandte er sich an Konrad. »Hattet ihr Streit?«
Von der Nachricht wie betäubt, schüttelte Konrad stumm den Kopf.
»Eine alte Rechnung vielleicht? Er bekam es mit der Angst, fürchtete, du würdest dich rächen …«
»Nein. Nichts von alldem.«
»Sonderbar«, murmelte der andere, ihn argwöhnisch musternd.
»Was ist sonderbar?« erkundigte sich Gero.
»Er wußte, daß ich große Stücke auf ihn hielt. Was er tat und sagte, hatte stets Hand und Fuß; nicht ein einziges Mal mußte ich ihn bestrafen. Ich bin sicher, daß er es bei uns noch weit gebracht hätte. Da kommt dieser Junge, wechselt ein paar Worte mit ihm – und am nächsten Tag ist er weg.«
»Ich begreife nicht, worauf du hinauswillst«, entgegnete der Graf. »Nicht einmal, wenn ihn ›dieser Junge‹ dazu angestiftet hätte, würde das seinen Eidbruch entschuldigen. Im übrigen mache ich dir keinen Vorwurf, du kannst sie ja nicht ständig bewachen. Irgendwann werden wir den Kerl fassen, und dann wird er büßen. Du selbst, das verspreche ich dir, wirst ihn hängen.«
Der Kastellan zuckte verdrossen die Schultern. »Nimm's mir nicht krumm, Herr Graf, aber ich bin gar nicht erpicht drauf. Nicht nur unsertwegen tut's mir nämlich leid, sondern auch um seinetwillen. Wirklich guten Männern begegnet man selten, und er war einer.«
»War!« sagte Konrad. »Du redest, als sei er schon tot.«
Ohne ihn anzusehen, erwiderte der andere: »Glaube mir, junger Mann, es ist, als wäre er es bereits. Denn wenn es ihm nicht gelingt, sich einer Bande anzuschließen, ist er verloren. Doch wo soll er jetzt eine Bande finden? Die besten Männer seines Schlages sind bei uns, das Kroppzeug, das wir zurückgewiesen haben, dürfte den Winter kaum überlebt haben. Neue kommen erst im Mai. Ein Mann auf der Flucht ist aber nicht bloß einer weniger als zwei; auf sich gestellt, ist er so hilflos wie ein Blatt im Sturm. Zwei können sich zumindest beim Schlafen abwechseln, einer allein hingegen hat niemals Ruhe. Selbst der Gerissenste wird vor Müdigkeit immer häufiger Fehler begehen, so lange, bis man ihn endlich erwischt. Dann ist er hinüber.«
3
I M H ERBST N EUNHUNDERTNEUNUNDZWANZIG hatte König Heinrich zur Beherrschung der Daleminzer die Burg Meißen anlegen lassen, sie mit einer starken Besatzung versehen und von hier aus drei Jahre darauf die weiter östlich siedelnden Milzener zur Tributzahlung gezwungen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war auch das Schicksal der kleinen sorbischen Stämme zwischen Saale und Mulde besiegelt gewesen: Gleichsam
Weitere Kostenlose Bücher