Brennaburg
überdrüssig, unaufhörlich davon, sich satt zu essen und in einem Haus zu wohnen. Erfüllte sich ihnen beides, würden sie es gewiß nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, sondern, falls erforderlich, mit Zähnen und Klauen verteidigen.
Warum daher nicht den Versuch wagen, sie in ehrbare Krieger zu verwandeln? Glückte er, brauchte man nicht auf die Mannschaften der Grenzburgen zurückzugreifen, so daß diese bei einem ungarischen Angriff in voller Stärke zur Verfügung stehen würden. Schlug er fehl und gingen die Räuber zugrunde, hätte man zumindest das erreicht, worum man sich so oft vergeblich bemüht hatte: sich möglichst viele von ihnen vom Hals zu schaffen.
Doch obwohl der Graf seine ganze Beredsamkeit aufgeboten hatte, vermochte er es nicht, die Männer für seinen Plan zu erwärmen. Einige ließen sogar durchblicken, daß sie bei der kleinsten Unverschämtheit von Seiten der Ankömmlinge blankziehen würden. Daß es trotzdem nicht ein einziges Mal zu Handgreiflichkeiten kam, war daher fast ein Wunder zu nennen.
Mehr als hundertzwanzig ehemalige Räuber wurden für tauglich befunden und auf die Burgen verteilt, wo sie bis zum Frühjahr das Erstürmen und Verteidigen von Befestigungen üben mußten. Die Ausbildung war hart; weil die Zeit drängte und weil sie die Bereitschaft der Angeworbenen erproben sollte, sich in das neue Leben zu schicken. Drückebergern drohte die Knute, Aufmüpfigen der Strick; gleichwohl flohen nur vier Männer.
Die Musterungen dauerten bis Mitte Februar, danach entschied der Graf, sie vorläufig einzustellen. Noch vor dem Einsetzen des Tauwetters ritten abermals Boten durch die Dörfer und verkündeten allen, die es hören wollten, daß die Schonzeit abgelaufen sei.
Ende März besuchte der Graf eine östlich der unteren Helme gelegene Burg. Er hatte sein Kommen nicht angemeldet, und um ganz sicher zu gehen, daß die Überraschung gelang, näherten sich er und seine Leute der Festung während der letzten Meilen auf Schleichwegen; Bauern hatten berichtet, daß die Besatzung ihren Dienst vernachlässige. Doch ob diese das gräfliche Gefolge nun rechtzeitig entdeckt hatte oder verleumdet worden war, jedenfalls traf man sie gerade bei einer Übung an.
Geprobt wurde die Abwehr von Lanzenstößen mittels Schild und Axt. Spitzen und Schneiden der Waffen waren aus Holz, dennoch steckten die Männer in Rüstungen. An der verbissenen Art, mit der sie fochten, war unschwer zu erkennen, daß zwischen den eingesessenen Kriegern und den ihnen zugeteilten Räubern starke Spannungen bestehen mußten. Schweigend, ohne die bei Übungen sonst üblichen Scherzworte, drangen sie aufeinander ein, offenbar darauf bedacht, dem Gegner Schmerzen zuzufügen.
Sowie man die Pferde der Gäste weggeführt hatte, ließ der Burghauptmann für Gero und Konrad Stühle heraustragen und im Halbdunkel des Torschattens aufstellen. Er selbst nahm hinter dem Grafen Platz und schaute ihn unverwandt an. Je nachdem, ob Gero die Stirn runzelte oder anerkennend nickte, beschimpfte der Kastellan seine Leute auf das gröbste oder lobte sie mit einem »Gut so!«, wobei er jedesmal aufsprang.
Konrad beobachtete unterdessen einen Mann, der ihm, seines narbenübersäten Gesichtes wegen, bereits im Januar aufgefallen war. Er war groß und mager, hatte angeblich fast zehn Jahre im Wald zugebracht und wurde von seinen Gefährten ›der Fink‹ genannt. Seine Oberlippe war gespalten, die plattgedrückte Nase glich einem Entenschnabel, links fehlte ihm das Ohr. Dies alles wirkte jedoch weder lächerlich noch bemitleidenswert. Etwas Abweisendes und Gelangweiltes lag in seinem Blick, so, als habe er sich über seine Umgebung eine Meinung gebildet, die durch nichts erschüttert werden konnte. Sogar jetzt, da er höllisch aufpassen mußte, daß er von den wuchtigen Stößen seines Gegenübers nicht getroffen wurde, verlor er diesen Ausdruck nicht. Er verteidigte sich überaus geschickt und hätte dem anderen im Ernstfall schon etliche Male den Lanzenschaft durchhauen.
Während Konrad ihm zusah, verspürte er auf einmal ein wehmütiges Ziehen in der Brust. Das dunstige Licht, der laue Wind, der Geruch der gärenden Erde, der knirschende Gesang eines Rotschwänzchens, das auf dem Dach des Wehrganges saß – alles erinnerte ihn an die Kindheit, an jene glücklichen Märztage, an denen er und die Geschwister aus der rußigen Hütte gestürmt waren und den Frühling mit einem Spottlied auf den Winter begrüßt hatten. Er seufzte und
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