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Brennen Muss Salem

Brennen Muss Salem

Titel: Brennen Muss Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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tanzte hoch oben auf der Tapete zwischen den Schatten, die der Ahornbaum warf, der vor dem Fenster stand. Aber Randy weckte seine Mutter doch immer, bevor die Sonne hoch genug war, um die Schatten des Ahorns auf die Wand zu werfen – Sandys erstaunte Augen fielen auf die Uhr neben dem Bett.
    Es war zehn Minuten nach neun Uhr.
    Angst stieg auf in Sandy.
    »Randy?« rief sie, und der Schlafrock wallte hinter ihr, als sie den schmalen Gang entlang lief. »Randy, Liebling?«
    Das Zimmer des Babys war in Sonnenlicht getaucht, das aus dem kleinen Fenster oberhalb der Wiege fiel ... Das Fenster stand offen. Sandy hatte es geschlossen, als sie zu Bett gegangen war. Sie schloß es immer.
    Die Wiege war leer.
    »Randy?« flüsterte sie.
    Der kleine Körper lag in einer Ecke, hingeworfen wie ein Haufen Unrat. Ein Bein stand wie ein verkehrtes Rufzeichen grotesk in die Höhe.
    »Randy!«
    Sie fiel neben dem Körper auf die Knie und nahm das Kind in die Arme. Seine Haut war kühl.
    »Randy, mein Schatz, wach auf, Randy, wach auf -«
    Die blauen Flecken waren weg. Alle weg. Sie waren über Nacht verschwunden. Das kleine Gesicht und der Körper waren makellos. Randy sah rosig aus. Zum erstenmal, seit er auf der Welt war, fand ihn Sandy schön, und sie schrie beim Anblick dieser Schönheit – einen schrecklichen, verzweifelten Schrei.
    »Randy! Wach auf! Randy? -«
    Mit dem Baby im Arm stand sie auf und lief den Gang zurück, und der Schlafrock rutschte von ihrer Schulter. Der hohe Kinderstuhl stand immer noch in der Küche und davor das Tablett mit den Resten von Randys Abendmahlzeit. Sie setzte Randy in den Stuhl, auf den die Morgensonne schien. Randys Kopf fiel auf die Brust, und mit einer langsamen furchtbaren Endgültigkeit rutschte er zur Seite, bis er zwischen dem Tablett und einer Armlehne eingeklemmt war.
    »Randy?« sagte die Mutter lächelnd. Ihre Augen quollen aus den Höhlen wie blaue Murmeln. Sie streichelte Randys Wangen. »Wach jetzt auf, Randy. Frühstück, Randy. Soo hungrig?
    Bitte - oh, lieber Gott - bitte -«
    Sie drehte sich um, riß eines der Kästchen über dem Herd auf, warf ein Paket Reis um, fand ein Glas Schokoladepudding und nahm aus dem Abwaschbecken einen kleinen Plastiklöffel.
    »Schau, Randys Lieblingsspeise. Schau, den schönen Schoko-Pudding. Schoko, Schoko.« Wut und Panik überkamen sie.
    »Wach auf!« schrie sie ihn an, und ihr Speichel näßte seine durchsichtige Haut. »Um Himmels willen, wach auf, kleiner Scheißer, wach auf!«
    Sie nahm einen Löffel voll Pudding aus dem Glas. Ihre Hand, die längst die Wahrheit wußte, zitterte so sehr, daß sie das meiste verschüttete. Den Rest schob Sandy zwischen die kleinen schlaffen Lippen, aber er fiel mit einem gräßlichen plumpsenden Geräusch auf das Tablett zurück.
    »Randy«, flehte sie. »Hör auf, Mutti zu ärgern.«
    Mit einem Finger öffnete sie Randys Mund und schob etwas Pudding hinein.
    »So«, sagte Sandy McDougall. Ein unbeschreibliches Lächeln, voll von törichter Hoffnung, umspielte ihre Lippen. Sie lehnte sich in ihrem Küchenstuhl zurück. Jetzt würde alles in Ordnung sein. Jetzt wußte Randy, daß sie ihn immer noch liebte, und würde mit dem grausamen Spiel aufhören.
    »Gut?« murmelte sie. »Schoko gut? Für Mutti lächeln? Sei Muttis braves Kind und lach.«
    Mit zitternden Fingern schob sie Randys Mundwinkel nach oben. Der Schokoladepudding fiel auf das Tablett - plumps.
    Sandy begann zu schreien.
    Als seine Frau am Samstag morgen im Wohnzimmer hinfiel, erwachte Tony Glick.
    »Margie?« rief er und kroch aus dem Bett. »Margie?«
    Nach einer langen Pause antwortete sie: »Es ist nichts passiert, Tony.«
    Tony saß auf der Bettkante und starrte auf seine Füße. Sein Oberkörper war nackt, und er trug eine gestreifte Pyjamahose.
    Die Haare waren zerrauft. Dickes schwarzes Haar, wie es seine beiden Söhne von ihm geerbt hatten. Die Leute hielten ihn für einen Juden, aber das südeuropäische Haar war sicherlich eine Auszeichnung, dachte er oft. Der Name seines Großvaters war Degliocchi gewesen. Vielleicht hatte ihm irgend jemand erzählt, daß man in Amerika mit einem kurzen und prägnanten Namen schneller vorwärtskomme, woraufhin sein Großvater den Namen gesetzlich in Glick ändern ließ, ohne zu bedenken, daß er damit nur die italienische Minderheit, der er angehörte, gegen den Schein eintauschte, Mitglied einer anderen, nämlich der jüdischen zu sein. Tony Glicks Körper war stattlich und muskulös. Sein Gesicht

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