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Brennende Hunde

Brennende Hunde

Titel: Brennende Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laabs Kowalski
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und griff
nach dem schmalen, auf dem Nachttisch liegenden Buch, das einen kurzen Abriß
der Geschichte von Dawson City enthielt. Dem Buch zufolge befand sich im Sommer
des Jahres 1896 ein Lager der Kutchin-Indiander an der Stelle der späteren
Stadt. Wie jedes Jahr im Juli und August fischten sie im Fluß nach Lachsen. Bei
ihnen war auch ein gewisser George Carmack, ein sogenannter Squawman, denn er
lebte mit einer Indianerin zusammen. Eines Tages, als er mit seinen
indianischen Schwägern Skootum Jim und Tagish Charlie über die Anhöhen ging,
entdeckte Carmack in einem Bachbett ein Funkeln. Die Nuggets, die er bloß
aufzusammeln brauchte, füllten einen ganzen Sack.
    Einige Tage später ließ Carmack in Fortymile, einer
Ansiedlung etwa vierzig Meilen stromabwärts gelegen, seinen Claim registrieren.
Die im dortigen Laden eingekauften Waren bezahlte er mit Gold. Binnen weniger
Stunden sprach sich diese Nachricht herum, und stehenden Fußes machten sich ungefähr
zweitausend Menschen auf den Weg. Sie errichteten Bretterhütten und Zelte und
fingen an, die Erde umzuwühlen. Dawson City entstand, benannt nach Dr. George
Dawson, einem Geologen der Regierung.
    Als im Sommer darauf die Portland, ein an der
Pazifikküste verkehrendes Dampfschiff, mit mehr als zwei Tonnen Gold an Bord in
den Hafen von Seattle einlief, ging die Nachricht von riesigen Goldfunden am
Klondike wie ein Lauffeuer rund um die Welt. Jeder, der jemanden umgebracht,
eine zänkische Ehefrau oder das Bedürfnis nach Reichtum oder dem Reichtum
anderer hatte, machte sich Hals über Kopf auf den Weg ins sagenhafte Eldorado. Verkäufer
ließen ihre Kunden stehen, Friseure legten das Rasiermesser weg, und Sterbende
erhoben sich von ihrem Lager, um in der Hoffnung auf ein schnelles Glück an die
Ufer des Klondike zu ziehen. Die Mehrheit von ihnen reiste mit dem Schiff die
Pazifikküste bis nach Skagway hinauf. Dort deckten sich die Glücksucher mit
maßlos überteuerten Lebensmitteln ein, um für den Marsch über den mörderischen
Chilkoot-Paß an die Quellgewässer des Yukons gerüstet zu sein. Von dort ging es
mit selbstgebauten Booten oder Flößen weiter, bis sie Wochen später und nach
zahlreichen Stromschnellen endlich Dawson City erreichten. Die Ausfallrate
unter den Abenteurern und Glückrittern war hoch.  Die Hälfte von ihnen schaffte
es nicht und blieb auf der Strecke: verunglückt, erfroren, ertrunken,
verhungert. Und auch wer Dawson City schließlich erreichte, befand sich noch
lange nicht außer Gefahr. Manche der Glücksritter wurden Opfer von Verbrechen,
andere starben an den Epidemien, die sich vor allem in den langen Wintermonaten
in der Ortschaft ausbreiteten, die weder über fließend Wasser noch über eine
Kanalisation verfügte. Einige wenige aber machten tatsächlich ihr Glück.
Bereits nach einer Saison hatte Big Alex MacDonald Gold im Wert von fünf
Millionen Dollar gefunden; eine junge Frau, die sich unter all den Männern in
Dawson befand, ließ einen ihrer Schneidezähne mit einem Brillanten schmücken
und wurde als Diamond Tooth Gertie bekannt; und Swiftwater Bill kaufte eines
Tags im Winter alle Eier auf, nur um Gussie LaMore, seiner Geliebten, zu
imponieren. Große Tage, in denen Dawson City vierzigtausend Einwohner zählte.
    Jetzt, da Dess und Dr. Chairman sich in dieser Stadt
befanden, hatte sie das Aussehen eines Freiluftmuseums angenommen – ein Ort,
einbalsamiert wie der Leichnam von Lenin, die Gesichter seiner Einwohner vom
Kretinismus gezeichnet, wie Dr. Chairman befand. World’s End wäre der
passendere Name gewesen.
     
    ***
     
    Als Dess am nächsten Morgen den Frühstücksraum betrat,
überraschte ihn Dr. Chairman mit ihrer neuen Garderobe. Sie trug eine
Khaki-Hose mit zahlreichen Taschen, ein kariertes Hemd und darüber eine derbe Wildlederjacke.
Am auffälligsten aber war ihr Haar, das sie erstmals offen trug, seit Dess die
Profilerin kannte, und ihrem Gesicht – es war geradezu verblüffend – einen
leichten Anflug von Weiblichkeit gab.
    „Gut geschlafen?“ begrüßte sie ihn.
    „Weiß nicht“, antwortete er. „Immerhin habe ich keine
Alpträume gehabt, davon, wie Gouchaud mich erlegt und anschließend häutet.“
    „Wäre auch ’ne Menge Arbeit für ihn“, entgegnete die
Profilerin und schenkte Dess ein strahlendes Lächeln.
    Sie frühstückten ausgiebig und machten sich dann auf den
Weg zu dem sonderlichen Alten, der sie diesmal ohne Schüsse empfing. Ja,
bestätigte er, ein Pärchen habe vorgestern

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